Herbert Berger  Michael Legner (Hg.)

Anlageberatung im
Privatkundengeschäft

 
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ISBN (Print): 978-3-940913-32-6
ISBN (PDF): 978-3-940913-91-3
ISBN (ePub): 978-3-940913-92-0
1. Auflage 2013  © Frankfurt School Verlag GmbH, Sonnemannstraße 9-11, 60314 Frankfurt am Main

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort
Vorwort
Autorenverzeichnis
I Grundlagen der Anlageberatung
Was ist Anlageberatung?
Ludwig Schnieders
Aspekte der Beratungsqualität
Michael Legner
Entwicklungen am Kapitalmarkt und beim Anlegerverhalten
Herbert Berger
II Rechtliche und volkswirtschaftliche Rahmenbedingungen der Anlageberatung
Anlegerschutz im Fokus regulatorischer Maßnahmen
Adam Piechnik
Vermögensentwicklung der privaten Haushalte in Deutschland
Renate Finke
III Anlegermentalität in der Anlageberatung
Überliste Dich selbst! – Erkenntnisse der Behavioral-Finance-Theorie für die Praxis der Anlageberatung
Hans-Jörg Naumer
IV Management und Umsetzung der Anlageberatung
Anlagemanagement
Herbert Berger
Produktmanagement und Vertriebsmanagement
Herbert Berger/Michael Legner/Ludwig Schnieders
Einfluss von Vergütungssystemen auf die Finanzberatungsqualität
Peter Roßbach
Geschäftsabwicklung und Depotservices
Hans-Wilhelm Ruland
V Chancen- und Risikoaspekte der Vermögensanlage
Anlagechancen und Anlagerisiken
Wolf Wössner
VI Produkte für die Anlageberatung
Investmentfonds – Anlagelösungen für jedermann
Frank Bock/Panagiotis Siskos
Die Aktie in der Anlageberatung
Rüdiger von Rosen
VII Anlageberatung als Wertschöpfungspartnerschaft
Erfolgreiche Wertschöpfungspartnerschaft
Herbert Berger/Michael Legner

Geleitwort

Die Bedeutung eines effizienten Verbraucherschutzes als Bürgerrecht im Finanzbereich
„In Deutschland herrscht Goldgräberstimmung“, schrieb am 04.03.2000 die Süddeutsche Zeitung.[1] „Privatanleger scheinen von einem Börsenwahn befallen zu sein“, fasst Thomas Öchsner in seiner Betrachtung die Stimmung an der Börse zusammen. Die Kurse waren in bislang ungekannte Höhen gestiegen – es herrschte ein wahres Kursfeuerwerk.
Aber wie es immer ist, wenn ein Feuerwerk unkontrolliert abgebrannt wird, droht ohne entsprechende Vorsichtsmaßnahmen Unheil und Zerstörung. Dann wird aus einem kleinen Feuer schnell ein Flächenbrand.
Genau dies ist in der Finanzkrise passiert, als mittlerweile wertlose Papiere in immer neue Formen gegossen und weiterverkauft wurden. Der Begriff „Schrottpapiere“ wurde zum Synonym für die Vernichtung des Geldes. Und plötzlich war das mühevoll verdiente und gesparte Geld weg. Genau so ist es vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland und der Welt in den vergangenen Jahren gegangen.
Pech gehabt, mag mancher behaupten. Wer spekuliert, hat eben auf das falsche Pferd gesetzt und verloren, wenn die Spekulationsblase platzt. Und die Gier nach immer mehr Geld durch spekulative Anlageformen kann immer im Katzenjammer und Totalverlust enden. Denn eigentlich gibt es eine einfache Devise: Hohe Rendite, hohes Risiko – niedrige Rendite, niedriges Risiko! Und Spekulation ist immer Risiko.
Dumm nur, wenn man gar nicht weiß, dass man spekuliert hat. Wenn sich ein Altersvorsorgekonto plötzlich als hochspekulative Anlageform erweist, bei dem mit riskanten Zertifikaten und Staatsanleihen aus Schuldenstaaten gehandelt wurde. Die Pleite der Lehman Brothers und der totale Wertverlust ihrer Zertifikate war nur die Spitze des Eisbergs. Nach einer Studie des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz verlieren Anleger jedes Jahr durch Falschberatung 20-30 Mrd. EUR.[2]
Viele, die in der Finanzkrise Geld verloren haben, waren aber keine aktiven Spekulanten. Viele waren kleine Sparer, die nun durch den Absturz der Renditen bei der privaten Altersvorsorge im Alter doch nur wenig mehr als die staatliche Rente erhalten werden. Anlegerschutz ist somit immer auch Verbraucherschutz – und zwar für alle gesellschaftlichen Schichten.
Und noch ein weiterer Aspekt sollte dabei nicht vergessen werden. Anlegerschutz ist auch Steuerzahlerschutz. Denn letztlich sind es zu einem großen Teil die Steuerzahler gewesen, mit deren Geld nun der Flächenbrand der Finanzkrise gelöscht wurde und – siehe Griechenland – weiterhin wird.
Wenn wir die Frage stellen, wie wir Anleger zukünftig besser schützen wollen, dann landen wir zwangsläufig auch bei der Frage, wie es zu diesem Flächenbrand überhaupt kommen konnte. Dabei scheinen mir zwei Ursachen zentral:
  1. Es fehlte an Brandschutzvorkehrungen. Finanzjongleure bekamen durch die rot-grüne Bundesregierung in den Jahren 1998-2005 immer weitere Aktionsspielräume, indem beispielsweise Hedgefonds in Deutschland zugelassen wurden. Transparenz und Informationen für Anleger waren als flankierendes Portfolio nicht vorgesehen.

  2. Es gab keine funktionsfähigen Brandmelder. Zersplitterte Aufsichtsbehörden über ganz Europa hinweg entpuppten sich als ineffizient. Die Finanzaufsicht war vielfach nur ein zahnloser Tiger. Susan Strange prägte einst den Begriff des „Casino Capitalism“, aber wir befanden uns nicht in einem Kasino, sondern eher auf freier Wildbahn, quasi am Hütchenspielertisch. Denn am Roulettetisch gibt es zumindest den Croupier, der die Aufsicht über das Zocken führt. Verbraucherschutz in der Finanzaufsicht war aber ein Fremdwort.

Nach der Finanzkrise haben nicht nur die Anleger umgedacht. Auch die Politik hat inzwischen reagiert und regulatorisch eingegriffen. Brandschutzvorkehrungen, also der Anlegerschutz, sowie Brandmelder, also die Finanzaufsicht, stehen im Fokus von Reformmaßnahmen, die längst noch nicht abgeschlossen sind.
Das Gesetz zur Stärkung des Anlegerschutzes und zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts (AnsFuG) vom April 2011 bildete den Anfang der Regulierungsmaßnahmen im Sinne des Anlegerschutzes. Beratungsprotokolle und Produktinformationsblätter wurden zur Pflicht, um Standards in der Anlageberatung zu verankern.
Als nächstes wird das Gesetz zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts auch den so genannten „Grauen Kapitalmarkt“ aufsichtsrechtlichen Regelungen unterwerfen und die Anforderungen an freie Finanzvermittler erhöhen. So wird auch in diesem Bereich das Beratungsprotokoll und das Produktinformationsblatt zur Pflicht. Auch ein Sachkundenachweis für freie Finanzberater wird zukünftig vorgeschrieben werden.
Durch (Re-)Regulierung wurde dafür gesorgt, dass hochspekulative Anlageformen nicht mehr ungehindert zirkulieren. Mit dem Gesetz zur Vorbeugung gegen missbräuchliche Wertpapier- und Derivategeschäfte hat die christlich-liberale Regierung das Verbot ungedeckter Leerverkäufe durchgesetzt. Außerdem werden mit dem Anlegerschutzgesetz Haltepflichten bei offenen Immobilienfonds eingeführt. Den damit verbundenen Risiken für die Stabilität und die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte wird damit entgegen gewirkt.
Dies sind gute Anfänge, aber aus meiner Sicht als verbraucherschutzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion gibt es weiterhin Baustellen, um das Ziel eines effizienten Verbraucherschutzes zu erreichen.
Auch die Banken sind gefordert, das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher zurückzugewinnen und die Politik davon zu überzeugen, dass die Kunden für die Banken nicht nur Spielbälle sind. Bisweilen habe ich den Eindruck, einige Vertreter der Finanzbranche haben noch nicht begriffen, was sie vielen Verbrauchern und den Steuerzahlern angetan haben.
Sowohl bei den Protokollen als auch bei den Beipackzetteln besteht weiterhin Verbesserungsbedarf. Viele sind zu unübersichtlich, für den Kunden nur schwer verständlich und zwischen verschiedenen Banken kaum vergleichbar. Letztlich bringt es dem Verbraucher nichts, wenn er 20-seitige Protokolle bekommt und sich die Banken im Kleingedruckten gegen alles und jeden absichern.
Produktinformationsblätter sind erst effizient, wenn sie branchenweit einheitlich sind und einheitliche Risikoklassen beinhalten. Mir ist besonders wichtig, dass den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine bessere Einschätzung des Anlagerisikos ermöglicht wird. Daher setze ich mich für die Einteilung aller Finanzprodukte nach einheitlichen Risikoklassen ein. Dadurch würde an einer entscheidenden Stelle mehr Transparenz geschaffen und eine Vergleichbarkeit von Finanzprodukten wäre gegeben.
Auch dürfen wir nicht weiter zulassen, dass die Banken bei ihren Produkten Etikettenschwindel betreiben. Jedes Frühstücksei unterliegt in Deutschland strengeren Etikettierungsrichtlinien als eine Bank bei der Kennzeichnung ihrer Produkte. Wo aber „Altersvorsorgekonto“ drauf steht, muss auch Altersvorsorge – also eine gewisse Sicherheit – drinstecken und keine hochspekulativen Zertifikate. Damit am Ende nicht die sicher geglaubte Zusatzrente in Flammen aufgeht.
Wie bekommen wir mehr Qualität in die Anlageberatung? Dies ist die entscheidende Frage, mit der sich die Autoren in den folgenden Aufsätzen auseinandersetzen. Sind die bisher getroffenen Maßnahmen effizient genug, um die Anleger künftig besser zu schützen? Oder: Was müssen wir noch tun, damit die Verbraucher nicht mehr die Verlierer der Zocker sind und Kursfeuerwerke nicht mehr in Flächenbränden münden?
Der vorliegende Sammelband zeigt diese Baustellen ebenso wie mögliche Wege zu einem besseren Anlegerschutz auf und ist damit ein lehrreicher Fundus von Ideen. Die vielen Facetten des Anlegerschutzes vom Prozess der Anlageberatung über die Funktionsweise des Kapitalmarktes und die Psychologie des Anlegers werden ebenso einer detailreichen Analyse unterzogen wie einzelne Produktformen im Detail beleuchtet. Damit ist diese Sammlung eine überaus wertvolle Handreichung für die Akteure der Finanzwelt ebenso wie für uns Entscheidungsträger auf politischer Ebene und v.a. auch für die Anleger und jede, die es werden wollen.

Berlin, im August 2011

Prof. Dr. Erik Schweickert, MdB
Verbraucherschutzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion


Fußnoten:
[1] Thomas Öchsner, Milchmädchen an der Börse, Süddeutsche Zeitung am 04.03.2000.
[2] Marco Habschick, Jan Evers unter Mitarbeit von Mirko Bendig und Sascha Behnk, Juristischer Teil: Ulrich Krüger: Anforderungen an Finanzvermittler – mehr Qualität, bessere Entscheidungen, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Hamburg, September 2008, S. 12.

Vorwort

Die Anlageberatung der Finanzdienstleister ist seit Ausbruch der Finanzkrise verstärkt in die öffentliche Kritik und in den Fokus weiterer Regulierungsmaßnahmen geraten. Kann der regulatorische Rahmen gewährleisten, dass Anlageberatung künftig wieder überzeugt und der Anleger wieder volles Vertrauen zu seinem Berater entwickelt? Oder bedarf es zusätzlicher freiwilliger Maßnahmen durch die Finanzindustrie?
Das Thema ist brisant und komplex. Aber, auf einen einfachen Nenner gebracht, geht es um den Nutzen des Anlegers und um den Nutzen des Finanzdienstleisters. Wir sind uns bewusst, dass es sowohl zwischen den verschiedenen Bankengruppen als auch innerhalb dieser Segmente große Unterschiede bei der Gestaltung der Anlageberatung gibt. Allerdings fällt derzeit das Gesamturteil über die Qualität der Beratung nicht positiv aus.
Die Autoren dieses Fachbuches, das sich an Fachleute – Banker, Berater, Politiker, Verbraucherschützer und Fachjournalisten – richtet, das aber auch mit Gewinn für ein besseres Gesamtverständnis vom interessierten Anleger gelesen werden kann, sind der Auffassung, dass es in diesem Spannungsfeld Harmonie geben müsste. Die These einer erfolgreichen Wertschöpfungspartnerschaft wird in verschiedenen Facetten des Beratungsprozesses erörtert. Es werden die einzelnen Problemstellungen aufgezeigt und praxisorientierte Ansätze vorgestellt, die eine Basis für ein gedeihliches Miteinander anstelle konfliktträchtiger Gegensätze bilden können. Die Vorschläge stützen sich sowohl auf persönliche langjährige Erfahrungen im Metier als auch auf Erkenntnisse aus Finanzwissenschaft und Psychologie.
Zielsetzung ist nicht, alle Beratungsthemen (wie z. B. Private Finanzplanung oder Altersvorsorgeberatung) zu behandeln, sondern den Fokus auf Aspekte zu richten, die für die aktuellen Diskussionen über Beratungs- und Servicequalität eine besondere Rolle spielen. Dabei geht es nicht nur darum, Kritik zu vertiefen und den aktuell unbefriedigenden Zustand zu beschreiben. Wir wollen positive Akzente setzen, die in sich schlüssig sind und motivieren können, die Anlageberatung auf eine neue Basis zu stellen. Obwohl Anlageberatung kein neues Thema ist und auch sehr gute Zeiten gesehen hat, sind jetzt neue Weichenstellungen erforderlich, die für mutige und leistungsfähige Akteure wieder Pioniergewinne ermöglichen. Der Erfolg eines Anbieters dürfte eine Sogwirkung entfalten zum Nutzen der Anleger, der Vermögensanlage und damit zum volkswirtschaftlichen Gesamtnutzen eines wichtigen Teilsegments beitragen.
Mit einer erfolgreichen Anlage, die über Kursperformance und Ausschüttungen Werte schöpft, werden Anforderungen der Vermögensbildung und Vorsorge gelöst und der Kreislauf von Sparen und Investieren gestärkt. Soziale Marktwirtschaft erfordert effektive Rahmenbedingungen, aber auch das couragierte Handeln des Einzelnen in einer starken Zivilgesellschaft und insbesondere die Stärkung von Eigeninitiative und Eigenverantwortung. Alles andere artet in Ineffizienzen aus, die Freiheitsgrade einengen, Kreativität begrenzen und damit notwendige Innovationen verhindern.
Als Herausgeber dieses Buches bedanken wir uns bei unseren Mitautoren und deren Instituten für die hohe Bereitschaft, an dem Vorhaben einer Neufundierung von Anlageberatung mitzuwirken, auf das herzlichste. Uns hat der mit Fachkompetenz gepaarte Praxisbezug überzeugt. Das Zusammenwirken vieler Detailaspekte und Gedanken zu einem konsistenten Ganzen sollte Kräfte entfalten, die auch die Branche überzeugen und damit zu einer Renaissance glaubwürdiger und vertrauensbildender Beratung führen.

Karben und Villmar, im September 2011

Herbert Berger
Michael Legner

Autorenverzeichnis

Herbert Berger
Vormals Direktor und CIO, Dresdner Bank AG, Private Kunden, Frankfurt am Main
Frank Bock
Abteilungsdirektor, BVI Bundesverband Investment und Asset Management, Frankfurt am Main
Dr. Renate Finke
Allianz Global Investors AG, München
Michael Legner
Vormals Direktor, Dresdner Bank AG im Wertpapiergeschäft mit Privatkunden, Frankfurt am Main; freier Unternehmensberater für den Bereich Anlageberatung, Villmar
Hans-Jörg Naumer
Leiter Kapitalmarktanalyse, Allianz Global Investors, Frankfurt am Main
Adam Piechnik
Rechtsanwalt, Partner, Kreuzkamp & Partner, Düsseldorf
Prof. Dr. Peter Roßbach
Frankfurt School of Finance & Management, Frankfurt am Main
Hans-Wilhelm Ruland
Dozent, Frankfurt School of Finance & Management, Frankfurt am Main; vormals Leiter Wertpapier- und Servicebereich, Westfalenbank AG, Bochum
Ludwig Schnieders
Investment Consulting, Wiesbaden; vormals Direktor, Dresdner Bank AG im Anlagemanagement für Privatkunden, Frankfurt am Main
Panagiotis Siskos
Abteilungsdirektor, BVI Bundesverband Investment und Asset Management, Frankfurt am Main
Prof. Dr. Rüdiger von Rosen
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied, Deutsches Aktieninstitut e.V., Frankfurt am Main
Prof. Wolf Wössner
Leiter Studiengang BWL-Bank, Duale Hochschule Baden-Württemberg, Mosbach

I
Grundlagen
der Anlageberatung

Was ist Anlageberatung?

Ludwig Schnieders
 
1  
Thesen
2  
Einleitung
3  
Definition der Anlageberatung
4  
Bedürfnisse der Kunden
4.1  
Persönliche Verhältnisse sowie Wissen und Erfahrung
4.1.1  
Persönliche Verhältnisse
4.1.2  
Kenntnisse und Erfahrungen im Wertpapiergeschäft
4.2  
Anlageziele des Kunden vor dem Hintergrund des magischen Dreiecks der Vermögensanlage
4.3  
Beispiele für Anlegerprofile
4.3.1  
Vermögensaufbau, Vermögenswachstum, Vermögenserhalt
4.3.2  
Absolute Return
4.4  
Investment Policy Statement (IPS)
5  
Schritte der Anlageberatung im Überblick
6  
Unterschiedliche Beratungsanlässe
6.1  
Einzelproduktberatung vs. Gesamtdepotberatung
6.2  
Komfortkunde vs. Selbststeuerer
7  
Leistungsangebot und Qualitätskriterien
8  
Fazit

1  Thesen

2  Einleitung

Anlageberatung, was ist das eigentlich? In der öffentlichen Diskussion sind mit dem Thema Anlageberatung heute sofort die Begriffe Beratungsprotokoll, Produktinformationsblätter und Verbraucherschutz verknüpft. Regulatorische und aufsichtsrechtliche Fragestellungen und Anforderungen dominieren spätestens seit der Finanzkrise das Thema. Demgegenüber mangelt es aber an einer ernsthaften inhaltlichen Diskussion darüber, was Anlageberatung tatsächlich zu leisten vermag, und was nicht. Anders als in der Vermögensverwaltung fehlt es in der Anlageberatung noch immer an messbaren Leistungskriterien für die Dienstleistung bzw. das Produkt Anlageberatung. Vielleicht liegt hierin auch ein Grund, warum sich eine Bepreisung der Anlageberatung (Honorarberatung) in Deutschland bisher noch nicht wirklich durchsetzen konnte und nach wie vor die (mehr oder weniger transparente) Refinanzierung der Anlageberatung über Provisionen dominiert.
Qualitätsrankings und bewertbare Leistungskataloge als Vergleichsmaßstäbe fehlen im Produkt Anlageberatung fast völlig, so dass sich Beratungstests meist auf das Einhalten regulatorischer Pflichten und die Analyse (ex ante) der empfohlenen Anlagestrategien in einzelnen wenigen Testgesprächen zur Erstberatung (mystery shopping) beziehen.[1] Eine tatsächliche Messung und Überprüfung des Kundennutzens ex post findet jedoch noch viel zu selten statt. Die Vollständigkeit von Beratungsprotokollen und Produktinformationsblättern vermögen jedoch nur bedingt etwas über die Qualität, den Nutzen und den Anlageerfolg der Beratung für den Kunden auszusagen.
Dennoch haben Kostentransparenz und Produktaufklärung als Maßnahmen des Verbraucherschutzes für den Kunden zweifellos ihren Wert. Denn die Kenntnis der Kosten und des Risikos ermöglicht überhaupt erst eine sinnvolle Beurteilung und Auswahl von Anlageprodukten. Deren Kenntnis zählt sozusagen zu den notwendigen Informationen, die der Kunde erhalten muss, um am Ende eine sinnvolle Anlageentscheidung treffen zu können. Ob dies aber bereits auch hinreichend ist, steht auf einem anderen Blatt.
Um Chancen und Risiken einer Anlage wirklich angemessen beurteilen zu können, ist auch die Einbeziehung der Wechselwirkungen mit den anderen vorhandenen Wertpapieren im Kundendepot notwendig. Eine solche Portfoliosicht wiederum stellt Herausforderungen sowohl an die Qualifikation der Berater, als auch insbesondere an die Wertpapiersysteme der Banken und den Input der Fachabteilungen. Die ganzheitliche Portfoliosicht ist letztlich aber entscheidend für das Erreichen der Anlageziele des Kunden. Diese sind im Normalfall immer auf das gesamte Wertpapierportfolio und weniger auf das einzelne Wertpapier bezogen. Eine diesbezügliche inhaltliche Diskussion und Auseinandersetzung über die Qualität und den Mehrwert der Anlageberatung für den Kunden wäre wünschenswert.
Welche Bank betrachtet die Anlageberatung heute wirklich als Herausforderung im Qualitätswettbewerb um die Kunden? Ein Wettbewerb um die bessere Beratung findet kaum statt. Mangels inhaltlicher Standards und Definitionen fällt ein objektiver Vergleich der Beratungsleistungen für den Kunden denn auch schwer. Somit entscheidet über eine „gute“ Beratung im Wesentlichen das subjektive „gefühlte“ Werturteil des Kunden: Wie zufrieden ist der Kunde mit seiner Beraterin/seinem Berater und dem Service der Bank? In guten Börsenphasen steigt entsprechend meist die Kundenzufriedenheit, in schlechten Börsenphasen sinkt sie oft dramatisch. Ein objektiver Wertmaßstab für den Anlageerfolg und den Mehrwert der Beratung ist dabei systematisch nicht gegeben.
Ist die Anlageberatung in der Wertschöpfungskette der Finanzinstitute dann nur noch Mittel zum Zweck? Und besteht die Herausforderung allein darin, diese nach industriellen Maßstäben möglichst effizient zu organisieren? In den vergangenen zwanzig Jahren hat die Industrialisierung in den Banken zweifellos auch vor der Anlageberatung nicht halt gemacht. Viele Techniken und Trends aus dem Verkauf von Konsumgütern – allen voran das zielgruppenorientierte Produktmarketing – haben Eingang in die Beratungs- und Vertriebsprozesse der Banken gefunden. Die Berater mussten und haben das Verkaufen gelernt. Zahl der Kundenkontakte, Bedarfsanalysen, Cross-Selling, Produkteigenschaften, Kundennutzen und deren Beweis hielten Einzug in die Ausbildungsprogramme der Berater. Doch zeigte sich spätestens in der Finanzkrise 2008/2009, dass Anlageberatung mehr sein muss als bloßer Produktverkauf.
Es besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen der Anlageberatung und der Beratung und dem Verkauf eines Konsumguts. So kann beispielsweise der in Tests ermittelte und vom Hersteller angegebene Kraftstoffverbrauch eines Automobils tatsächlich als Beweis für dessen sparsamen Verbrauch gelten und der entsprechende Nutzen dürfte bei angemessener Fahrweise auch wirklich eintreffen. Die bei einer Anlageempfehlung in Aussicht gestellte Rendite eines Fonds, eines Zertifikats, einer Aktie oder einer Anleihe kann hingegen allenfalls über vergangene Zeiträume als „bewiesen“ gelten. Die zukünftige Rendite und damit der erwartete Nutzen sind aber in Abhängigkeit des jeweiligen Wertpapiers mehr oder weniger unsicher. Der Aussagegehalt für die Zukunft hängt vom jeweiligen Kapitalmarktumfeld und dem Verhalten der Marktteilnehmer ab. Nur unter gleichen Bedingungen und unter der Voraussetzung eines stabilen Anlegerverhaltens lassen sich historische Wertentwicklungen als Näherungswerte für die Zukunft heranziehen. Stresstests und Szenarioanalysen sind zwar zusätzliche Möglichkeiten, die Robustheit und Qualität eines Portfolios im Sinne der Zielerreichung zu beurteilen. Der konkrete Ausgang einer Empfehlung bleibt gleichwohl unsicher. Aus den Vergangenheitsdaten lassen sich daher allenfalls Wahrscheinlichkeitsaussagen für zukünftige Wertentwicklungen ableiten.[2]
Der Beratungsprozess bei Wertpapieren ist somit um einiges komplexer und – wie noch gezeigt werden wird – auch individueller als in der klassischen Konsumwelt. Die notwendige Individualität in der Beratung und die systematische Unsicherheit hinsichtlich des Anlageerfolgs und Kundennutzens unterscheiden die Anlageberatung von der Konsumberatung in zentralen Punkten. Auch die Auswirkungen auf die Vermögenssituation der Kunden können in der Anlageberatung sehr viel gravierender sein. Daher ist immer eine besondere Sorgfalt geboten. Letztlich sollte es bei der Anlageberatung daher nicht nur um die Erfüllung regulatorischer Pflichten gehen, sondern um die Kür, die Anlageziele des Kunden nachhaltig zu verwirklichen.

3  Definition der Anlageberatung

Angesichts der Komplexität des Themas und was darunter verstanden werden kann, sind zunächst einige Abgrenzungen sinnvoll. Unter Anlageberatung soll daher in diesem Beitrag ausschließlich die Beratung von Kunden für eine Investition in Wertpapieren (Aktien, Anleihen, Fonds, Zertifikate etc.) verstanden werden.
Oder wie es im zuständigen Kreditwesengesetz (KWG) heißt: „Die Abgabe von persönlichen Empfehlungen an Kunden oder deren Vertreter, die sich auf Geschäfte mit bestimmten Finanzinstrumenten beziehen, sofern die Empfehlung auf eine Prüfung der persönlichen Umstände des Anlegers gestützt oder als für ihn geeignet dargestellt wird und nicht ausschließlich über Informationsverbreitungskanäle oder für die Öffentlichkeit bekannt gegeben wird.“[3]
Die Anlageentscheidung trifft dabei immer der Kunde selbst. Darin unterscheidet sich die Anlageberatung in einem wesentlichen Punkt von der Vermögensverwaltung. In der Vermögensverwaltung delegiert der Kunde per Vertrag die Anlageentscheidung an die Bank bzw. den Vermögensverwalter. Dafür bezahlt der Kunde eine (oft auf das Depotvolumen bezogene) Gebühr (management fee), die häufig noch durch eine erfolgsabhängige Komponente (performance fee) ergänzt wird. Im Vermögensverwaltungsvertrag wird dann auch eine Spezifizierung der Anlagegrundsätze, der Vergleichsmaßstäbe sowie der Leistungen der Bank (u.a. Frequenz und Umfang des Reportings) vorgenommen. Der Kunde weiß wofür er bezahlt. Inzwischen gibt es v.a. im Segment Private Wealth Management Versuche, analog zur Vorgehensweise in der Vermögensverwaltung auch in der Anlageberatung einen expliziten Beratungsvertrag zu etablieren.
Nicht näher eingegangen wird im Folgenden auf die spezielle Dienstleistung der ganzheitlichen Vermögensanalyse und -planung sowie die Vorsorgeberatung. Eine solch umfassendere Vermögensanalyse berücksichtigt neben der Wertpapieranlage auch die Themen Immobilien und Versicherungen. Diese spezielle und oft einmalige Dienstleistung wird i.d.R. von erfahrenen Spezialisten ausgeführt und meist separat in Rechnung gestellt.
Im Mittelpunkt der Betrachtung hier stehen also allein das Wertpapierdepot des Kunden und seine diesbezüglichen Anlageziele und Bedürfnisse sowie die Leistungen der Bank. Auch damit bleibt das Thema Anlageberatung noch komplex genug, sind doch die Bedürfnisse der Kunden, deren Anlageziele, Risikobereitschaft und persönlichen Verhältnisse sehr vielfältig und verschieden.
Rechtlich handelt es sich bei der Anlageberatung i.d.R. um einen stillschweigend geschlossenen Beratungsvertrag. Ein solcher entsteht immer, wenn die Bank dem Kunden eine Auskunft erteilt, die für ihn von erheblicher Bedeutung ist und die der Kunde zur Grundlage seiner Anlageentscheidung machen will. Ein solcher Beratungsvertrag kommt entsprechend nicht nur zu Stande, wenn der Kunde die Beratung ausdrücklich wünscht, sondern auch wenn die Bank bzw. der Berater sich an den Kunden wendet. Jedes Kundengespräch, das eine Anlageentscheidung vorbereiten soll, ist als stillschweigender Beratungsvertrag anzusehen, der mit Aufnahme des Gesprächs beginnt und mit Abschluss des Beratungsgespräches endet.[4]
Der stillschweigend geschlossene Beratungsvertrag stellt noch immer den Normalfall in der Anlageberatung dar. Daneben gibt es im Markt aber auch Beratungsmodelle mit einem expliziten Beratungsvertrag zwischen Bank und Kunden. Hieraus können zusätzliche Rechte (für den Kunden) und Pflichten (für die Bank) resultieren. Im Regelfall wird eine solchermaßen eigenständige Dienstleistung ähnlich der Vermögensverwaltung separat bepreist. Neben einer besseren Transparenz von Kosten und Leistungen für Bank und Kunde geht damit aus Sicht der Bank auch das Ziel einher, die Umsatzabhängigkeit der Erträge im Wertpapiergeschäft zugunsten höherer Bestandserträge zu reduzieren. Der Vorteil solcher Beratungsmodelle für den Kunden liegt sicherlich darin, dass damit mögliche Interessenkonflikte hinsichtlich der Umsatzabhängigkeit der Beratung zwischen Bank und Kunde entspannt werden oder gar komplett aufgelöst werden.
Die Anlageberatung stellt in allen Fällen immer nur die Vorbereitung einer letztlich vom Kunden zu treffenden Anlageentscheidung dar. Das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) fordert dabei, dass eine Bank ihren Kunden alle zweckdienlichen Informationen gibt, soweit dies zur Wahrung der Interessen der Kunden und im Hinblick auf Art und Umfang der beabsichtigten Geschäfte erforderlich ist. Dabei ist der Wissensstand des Kunden zu berücksichtigen, d.h. es ist generell eine kundenindividuelle und Anlass-individuelle Information gefordert.

4  Bedürfnisse der Kunden

4.1  Persönliche Verhältnisse sowie Wissen und Erfahrung

4.1.1  Persönliche Verhältnisse

Um eine anlegergerechte Beratung vornehmen zu können, muss zunächst eine Analyse der persönlichen Verhältnisse des Kunden und damit seiner Risikotragfähigkeit erfolgen. Dies ist die Basis, an der sich schließlich die Anlageziele und Wünsche des Kunden orientieren sollten.
Die Vermögensverhältnisse des Kunden geben einen wichtigen Anhaltspunkt dafür, wie viel Risiko er sich leisten kann. Das liquide Nettovermögen (Aktiva minus Verbindlichkeiten, ohne Immobilien oder ähnlich illiquide Vermögenswerte) und das so genannte frei verfügbare Einkommen nach Abzug aller Ausgaben sind die in der Praxis relevanten Größen zur Bestimmung der Risikotragfähigkeit des Kunden.
Persönliche Verhältnisse des Kunden sind:
Die Risikotragfähigkeit des Kunden kann als maximal tragbarer Verlust angesehen werden, ohne dass die Vermögenssubstanz des Kunden nachhaltig gefährdet wird. Anders herum betrachtet, könnte daraus auch ein Wertaufholgebot bzw. Substanzaufholgebot abgeleitet werden: Ist der Kunde mit dem verbliebenen Vermögen und dem frei verfügbaren Einkommen in der Lage, den erlittenen Verlust ohne das Eingehen zusätzlicher Risiken in einem überschaubarem Anlagezeitraum (z.B. ein bis drei Jahre) auszugleichen? Daran wird sofort klar, je höher das frei verfügbare Einkommen und je höher das liquide Vermögen, desto höher ist die Risikotragfähigkeit des Kunden.

4.1.2  Kenntnisse und Erfahrungen im Wertpapiergeschäft

Neben seinen persönlichen Verhältnissen ist der Kunde nach seinen Kenntnissen und Erfahrungen im Wertpapiergeschäft zu befragen. Dies ist wichtig, da seitens der Bank sicherzustellen ist, dass der Kunde in der Lage ist, die Tragweite seiner möglichen Anlageentscheidungen abzuschätzen. Andererseits bemessen sich daran auch die Empfehlungen zur Anlagestrategie und die notwendigen Aufklärungs- und Informationspflichten der Bank gegenüber dem Kunden. So wie für jeden Anleger gelten sollte: Kaufe nur, was Du auch verstehst, so sollte analog für die Bank gelten: Verkaufe dem Kunden nur, was der Kunde auch versteht.

4.2  Anlageziele des Kunden vor dem Hintergrund des magischen Dreiecks der Vermögensanlage

Die Präferenzen der Kunden in Bezug auf die Variablen des magischen Dreiecks Rendite, Sicherheit und Liquidität sind eindeutig: könnte jeder frei wählen, so würden wahrscheinlich alle eine möglichst hohe Rendite, ein möglichst geringes Risiko und eine gleichzeitig hoch liquide Anlage bevorzugen. Doch leider besteht zwischen den Größen Rendite, Sicherheit (Risiko) und Liquidität ein wechselseitiges Spannungsfeld, was die gleichzeitige Erreichung aller drei Ziele quasi unmöglich werden lässt.
Abbildung 1: Magisches Dreieck der Vermögensanlage
schnieders_graphic-001.jpg
Zielkonflikte bestehen insbesondere zwischen den Zielen Rentabilität und Sicherheit sowie zwischen Rentabilität und Liquidität. In rationalen Märkten ist eine hohe Rendite nur mit dem Eingehen eines entsprechend höheren Risikos erzielbar. Andererseits weisen sehr kurzfristig verfügbare Anlagen häufig einen Renditenachteil gegenüber weniger liquiden Anlagen auf (Liquiditätspräferenz).
Angesichts dieser Zielkonflikte ist es nicht verwunderlich, dass die Zielvorstellungen des Kunden nicht immer von vornherein im Einklang miteinander stehen. Oft werden Renditeziele zu hoch angesetzt und stehen im Widerspruch zur Risikobereitschaft des Kunden oder widersprechen seiner tatsächlichen Risikotragfähigkeit. Hier ist es eine wesentliche Aufgabe der Beratung, gemeinsam mit dem Kunden zu einer realistischen und in sich konsistenten Einschätzung von Renditeziel, Risikobereitschaft und Risikotragfähigkeit sowie Liquiditätswunsch zu gelangen. Denn diese Kriterien bilden letztlich die Grundlage, auf der alle weiteren Beratungsschritte bis hin zur Strategie und konkreten Anlageempfehlungen aufbauen.
Dabei sind durchaus unterschiedliche Vorgehensweisen zu beobachten. Zum einen kommen Fragebögen zum Anlageverhalten/Kundenverhalten allgemein zum Einsatz, aus deren Ergebnissen dann Rückschlüsse auf die Risikobereitschaft des Kunden gezogen werden. Zum anderen wird mit weich formulierten Auswahlkriterien gearbeitet (z.B. keine, geringe, erhöhte oder hohe Risikobereitschaft).
Häufig wird zur Veranschaulichung der Kriterien Rendite und Risiko dem Kunden gegenüber auf Vergangenheitsdaten zurückgegriffen. So kann der Kunde sein Renditeziel beispielsweise aus vorgegebenen historischen durchschnittlichen Wertentwicklungen der verschiedenen Assetklasssen (Aktien, Anleihen, Geldmarkt) ableiten oder sich anhand verschiedener historisch effizienter Portfoliostrukturen (Effizienzlinie) positionieren. Im nächsten Schritt werden dann die zugehörigen Risiken aufgezeigt, die eingegangen werden mussten, um eine entsprechende Wertentwicklung in der Vergangenheit zu erreichen. Dies geschieht anhand entsprechender Kennzahlen zu den historischen Renditeschwankungen wie die jährliche historische Volatilität oder auch historisch maximal eingetretene Verluste (maximum drawdown).
Doch die Verwendung historischer Rendite- und Risikoziffern ist nicht unkritisch. So anschaulich sie sind, sie müssen gleichwohl mit Vorsicht betrachtet werden. Auf der Risikoseite hat erst die jüngste Finanzkrise wieder gelehrt, dass historische Verluste in der Zukunft sehr wohl nochmals übertroffen werden können. Gleiches gilt für die Renditen. Aus Vergangenheitsdaten resultierende Renditeerwartungen sollten nicht ohne weiteres in die Zukunft extrapoliert werden. Besonders klar wird dies im derzeitigen Niedrigzinsumfeld bezüglich der Renditeerwartung von Anleihen und Geldmarktanlagen.
Um zu möglichst robusten Schätzern für die langfristigen Renditeerwartungen zu kommen, werden häufig die Vergangenheitsrenditen über einen Zeitraum von zehn Jahren betrachtet, z.B. von Dezember 2000 bis Dezember 2010. Über einen solchen Zeitraum gleichen sich Jahre mit guter und schlechter Wertentwicklung erfahrungsgemäß bereits ein gutes Stück aus und streben einem langfristigen Mittelwert zu (mean reversion).[5] Verschiebt man diesen Zeitraum immer um einen Monat weiter in die Vergangenheit (sogenanntes monatliches Rollieren) so lassen sich die Renditen über viele unterschiedliche Zehnjahreszeiträume berechnen. In der nachfolgenden Tabelle geschieht dies für alle Zehnjahreszeiträume bis zurück zu dem Zeitraum Januar 1970 bis Januar 1980.
Tabelle 1: Renditestreubreiten von Aktien, Anleihen und Geldmarkt in Deutschland (monatlich rollierende Zehnjahresrenditen von 1970-2010)

Dreimonatsgeld

REXP

DAX

+2,9% bis +7,6% p.a.

+4,4% bis +8,9% p.a.

–2,9% bis +18,3% p.a.

Quelle: Thomson Datastream, eigene Berechnungen
Die durchschnittlich zu erzielende Rendite am Geldmarkt in Deutschland über einen Zeitraum von zehn Jahren betrug zwischen 1970 und 2010 im Minimum 2,9% und 7,6% im Maximum, woraus sich ein Durchschnitt von über 5% errechnet. Bei einem Dreimonatszins von derzeit nur 1,25% (Mai 2011) als Ausgangsbasis wird es aber nahezu unmöglich sein, eine solche Rendite am Geldmarkt in den kommenden zehn Jahren im Durchschnitt zu erzielen. Dies gilt umso mehr bei noch kürzeren Anlagehorizonten. Ähnlich stellt sich die Situation am Anleihenmarkt dar. Einer durchschnittlichen historischen Verzinsung von über 7% (Minimum 4,4%, Maximum 8,9%) steht als Ausgangsbasis für die Zukunft derzeit bei fünfjährigen Bundesanleihen eine Rendite von nur 1,9% und bei zehnjährigen Bundesanleihen eine Rendite von 2,9% p.a. gegenüber. Beide liegen weit unterhalb des Renditeniveaus von 4,4%, das über vergangene Zehnjahreszeiträume mit Bundesanleihen im Minimum zu erreichen war.
Um später zu einer sinnvollen Anlagestrategie zu gelangen, ist es daher unbedingt geboten, die Anlageziele des Kunden hinsichtlich der zukünftigen Renditeerwartung auf eine realistische Basis zu stellen. Dies kann in Bezug auf den Geldmarktzins und der Anleihenrendite leicht durch einen Abgleich der historischen Daten mit der aktuellen Kapitalmarktsituation geschehen. Die heutige Rendite einer fünfjährigen Bundesanleihe wird bei Halten bis Endfälligkeit auch tatsächlich realisiert werden können, eine Rückzahlung zu 100% natürlich vorausgesetzt. Zu einer Verfeinerung der Renditeerwartung könnten als nächstes Inflationsprognosen hinzugezogen werden, die längerfristig in einem stabilen Zusammenhang zur Höhe von Geldmarktzins und Anleihenrenditen stehen.
Aber auch für die in der Vergangenheit erzielbaren Aktienrenditen ist ein Realitäts-Check möglich. Dies kann am einfachsten durch einen Abgleich des langfristigen durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) mit dem aktuellen Aktienmarkt-KGV geschehen. Liegt das aktuelle KGV unter dem historischen Durchschnitt, so besteht über eine mögliche höhere Bewertung in der Zukunft (KGV-Ausweitung) das Potenzial für eine eher überdurchschnittliche Wertentwicklung des Aktienmarktes. Während ein in der Ausgangsbasis über dem historischen Durchschnitt liegendes KGV eher als Warnzeichen betrachtet werden kann.[6] Prognosen zum Wirtschaftswachstum und zum Gewinnwachstum der Unternehmen können zusätzliche Anhaltspunkte zur Angemessenheit der aktuellen Bewertung liefern.
Abbildung 2: Deutscher Aktienindex (DAX) und Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV)
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Eine möglichst konkrete und realistische Benennung der Anlageziele und der Risikobereitschaft ist die Voraussetzung für die Schaffung eines späteren Kundennutzens. Zugleich sind die Zielvorgaben entscheidend für die Festlegung einer Kundenbenchmark, an der sich letztlich auch der Mehrwert der Beratung für den Kunden messen lassen sollte.

4.3  Beispiele für Anlegerprofile

4.3.1  Vermögensaufbau, Vermögenswachstum, Vermögenserhalt

Ausgehend von den persönlichen Verhältnissen lassen sich die Anlageziele und Bedürfnisse der Kunden allgemein unterteilen in:
Unter Vermögensaufbau wird dabei die langfristige Schaffung eines zusätzlichen Vorsorgekapitals oder einer Kapitalreserve verstanden. Typischerweise geschieht dies über Sparpläne, die aus dem laufenden Einkommen gesponsert werden. Der Anlagehorizont ist entsprechend eher langfristig (größer sieben Jahre). Auf der Produktseite kommen v.a. Fondsbausteine zum Einsatz, die auch bei geringer monatlicher Sparleistung bereits eine effiziente Umsetzung ermöglichen. Dies können dabei sowohl Anleihen-, Immobilien- oder Mischfonds als auch Aktienfonds sein. Der Sparplancharakter und der lange Anlagehorizont erlauben hier eine stärkere Renditeorientierung und damit einen höheren Anteil risikobehafteter Assets. Der Cost-Averaging-Effekt an sich führt bereits zu einer gewissen Zeitdiversifikation. Darüber hinaus kommt insbesondere bei der Aktienanlage der empirische Befund zum Tragen, dass sehr schlechte und sehr gute Kapitalmarktjahre häufig in enger zeitlicher Abfolge stehen und sich so bei längerer Anlagedauer ausgleichen.
Beim Vermögenswachstum stehen Rendite- und Risikogesichtspunkte gleichberechtigt nebeneinander. Einerseits besteht bereits ein Anfangsvermögen, welches für Anlagezwecke zur Verfügung steht und eine gewisse Risikotragfähigkeit ermöglicht. Andererseits aber soll die Vermögensubstanz durch die einzugehenden Anlagerisiken auch nicht nachhaltig gefährdet werden. Am ehesten lässt sich diese Zielsetzung mit dem Wunsch nach einer aktienähnlichen Rendite mit einem aber deutlich geringeren Risiko als dem einer reinen Aktienanlage beschreiben. Voraussetzung für die Realisation entsprechender Diversifikationseffekte ist ein mindestens mittelfristiger (drei bis sieben Jahre) oder langfristiger (größer sieben Jahre) Anlagehorizont. Der klassische Lösungsansatz besteht dann in der Risikostreuung über verschiedene Anlageklassen. Bei einem solchen Multi-Assetklassen-Ansatz wählt der Kunde zwischen vorgegebenen Ertrags-Risiko-Kombinationen, die jeweils durch eine langfristig optimierte (vergangenheitsoptimierte) Portfoliostruktur unterlegt sind. Diese strategische Allokation bestimmt im Wesentlichen die weitere Wertentwicklung des Depots. Gleichwohl wird darauf im Beratungsalltag oft nur noch selten reflektiert. Im Mittelpunkt der Folgeberatungen stehen dann vielmehr die taktischen Abweichungen und Veränderungen dieser Allokation im Rahmen vorgegebener Bandbreiten sowie Selektions- und Timingempfehlungen auf Basis aktueller Kapitalmarkteinschätzung. Eine Risikoüberwachung der strategischen Allokation findet hingegen allzu oft nicht statt, sondern verbleibt allein beim Kunden. Dies führt in Krisenzeiten regelmäßig zu Spannungen im Verhältnis Bank und Kunde. Eine Verbesserung könnte hier durch ein auf das Gesamtdepot abgestelltes Risikomanagement geschaffen werden.
Besteht bereits ein nennenswertes Vermögen und sind größere Teile davon vorsorgegebunden oder anderweitig zweckgebundenen für Anschaffungen und Investitionen (z.B. Immobilienerwerb) oder zur Erzielung eines laufenden Einkommens/Ausschüttung vorgesehen, so rückt automatisch der Kapitalerhalt als Anlageziel in den Vordergrund. Das Ziel kann dabei vor oder nach Steuern sowie nominal oder real (inflationsbereinigt) formuliert sein. Im Spezialfall gemeinnütziger Stiftungen ist dies quasi gesetzlich vorgegeben. Das Stiftungsvermögen ist in seiner Substanz ungeschmälert zu erhalten. Gleichzeitig besteht ein jährliches Ausschüttungserfordernis zur Erfüllung des Stiftungszwecks. Dafür haben Stiftungen von Natur aus einen sehr langen Anlagehorizont, dies ermöglicht Kapitalmarktschwankungen leichter auszusitzen. Die damit mögliche Zeitdiversifikation und die geringen Liquiditätserfordernisse machen sich denn auch viele Lösungsansätze zunutze. Am gebräuchlichsten ist der Weg über eine konservative Multi-Assetklassen-Struktur mit hohem Rentenanteil und einer Dividendenstrategie auf der Aktienseite. In der jüngsten Finanzkrise erwies sich der hohe Rentenanteil gleichwohl noch nicht automatisch als großer Segen, es sei denn es handelte sich ausschließlich um Bundesanleihen. Viele andere Marktsegmente wie Pfandbriefe und Unternehmensanleihen litten mehrere Quartale unter großer Illiquidität und verzeichneten entsprechend starke Kursabschläge. Nicht immer gelang es den Entscheidungsträgern dabei die Struktur angesichts der zwischenzeitlichen Verluste durchzuhalten, auch wenn es sich letztlich gelohnt hätte. Dies zeigt, wie wichtig es ist, bei der Festlegung von Anlagezielen und Risikoprofil die objektive und die subjektive Risikotragfähigkeit des Kunden – d.h. seine Fähigkeit Verluste operativ und mental durchzustehen – nicht zu überfordern. Aus dieser Einsicht heraus entwickelte sich in den letzten Jahren nicht nur im Stiftungsbereich ein wachsendes Angebot und entsprechende Nachfrage nach Absolute-Return-Lösungen.

4.3.2  Absolute Return

Zwei Börsencrashs innerhalb von zehn Jahren haben bei den Anlegern insbesondere hinsichtlich ihrer Risikobereitschaft Spuren hinterlassen. Bei vielen steht inzwischen nicht mehr ein möglichst hoher Ertrag im Vordergrund, sondern zunächst die Verlustvermeidung bzw. die Begrenzung des Risikos.
Relativ besser zu sein als ein Vergleichsindex, bedeutet aus Kundensicht nur einen sehr begrenzten Nutzen, wenn insgesamt in einer Anlageperiode ein Verlust resultiert. Dadurch sind Ansätze entstanden, die absolut positive Erträge unabhängig vom Marktumfeld zum Ziel haben. Anleger sind immer stärker an einem in der Hauptsache positiven Ertrag interessiert. Die Absatzzahlen von Absolute-Return-Fonds und Garantiezertifikaten in den letzten Jahren belegen dies deutlich. Noch sind die angebotenen Lösungsansätze aber insgesamt sehr diffus, die sich hinter dem Begriff Absolute Return verbergen:
Allen Ansätzen gemeinsam ist, dass die dahinter stehenden Anlagestrategien teilweise sehr komplex sind und für Privatanleger nur in einem fertigen Produktmantel zu haben sind. Dies schmälert leider die Renditeerwartung nach Kosten. Eine höhere Sicherheit bedeutet i.d.R. immer direkt oder indirekt über die Kosten der Absicherung/Kapitalgarantie einen Renditeverzicht.
Die einfachste Lösung bietet natürlich eine 100% Geldmarktanlage. Diese erfüllt zweifellos den Wunsch der Kunden nach einer starken Risikobegrenzung. In dem gegebenen Niedrigzinsumfeld ist der Geldmarktzins aber nur bedingt in der Lage, auch den mittel- bis längerfristigen Renditezielen der Kunden zu genügen. Trotz gestiegener Verlustaversion möchten sich viele dann doch nicht komplett von den Chancen der Kapitalmärkte ausschließen.
Die kundenseitigen Anforderungen und Bedürfnisse hinsichtlich Absolute Return lassen sich demnach wie folgt zusammenfassen:
Die natürliche Messlatte hierfür ist der Geldmarktzins. Die Realisierung und Umsetzung eines an diesen Zielen orientierten Anlagekonzepts stellt allerdings große Herausforderungen an die Beratungs- und Reportingsysteme der Banken.
Zuallererst müsste mit dem Kunden das zur Verfügung stehende Risikokapital bzw. Risikobudget festgelegt werden sowie die zeitliche Frist, in welcher der Kapitalerhalt sichergestellt sein soll. Dies könnte z.B. durch Vorgabe eines für das Kalenderjahr jährlich neuen Risikobudgets in Höhe des aktuellen Geldmarktzinses geschehen. Die Verlustbegrenzung würde dadurch in Jahren mit positiver Wertentwicklung entsprechend nach oben nachgezogen werden. Das unterjährige Kursrisiko bliebe immer auf den zeitanteiligen Geldmarktzins begrenzt. Eine Alternative hierzu bildet die Festlegung einer absoluten Verlustgrenze in Bezug auf das Ausgangskapital (z.B. absolute Wertuntergrenze bei 95% des Ausgangskapitals). Bei dieser Lösung besteht die Möglichkeit durch Zugewinne das Risikokapital in den Folgejahren spürbar zu erhöhen. Steigt der Wert des Portfolios beispielsweise im ersten Jahr auf 105%, würde sich das einsetzbare Risikokapital im Folgejahr entsprechend auf 10% erhöhen, sofern die Wertuntergrenze bei 95% des Ausgangskapitals unverändert bleibt. Um überwacht werden zu können, müsste das Risikobudget anschließend systemseitig hinterlegt werden. Der Berater würde so zu einem Risikomanager werden, entsprechend leistungsfähige Wertpapiersysteme und Beraterqualifikationen vorausgesetzt. Gleichzeitig müssten dem Berater über die internen Research-Abteilungen aber auch auf das Ziel Absolute Return zugeschnittene Anlagestrategien, Strukturen, Musterportfolios und Anlageempfehlungen an die Hand gegeben werden.
Der Kundennutzen einer solchen Absolute-Return-Strategie wäre ex post an der erzielten Portfoliorendite in Bezug auf das eingesetzte Risikokapital zu messen. Inwieweit wurde das Eingehen von begrenzten Risiken durch eine über dem Geldmarkt liegende Rendite entlohnt? Eine Maßzahl hierfür liefert die so genannte Sharpe Ratio, die die erzielte Überrendite gegenüber dem risikolosen Geldmarktzins ins Verhältnis zum eingegangenen Risiko (Volatilität) des Portfolios setzt.
Unmöglich erscheint ein solches Beratungsangebot nicht. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen an Technik und Berater werden an Absolute Return interessierte Kunden wohl aber zunächst weiter auf fertige Produktlösungen angewiesen sein, zumal diese aus Banksicht deutlich effizienter darzustellen sind.

4.4  Investment Policy Statement (IPS)