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Retail Banking

Herausgeber:
Frankfurt School of Finance & Management

Dieter Bartmann Marco Nirschl Anja Peters

Retail Banking

2. Auflage 2011

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Legende:   

Besuchen Sie uns im Internet: http://www.frankfurt-school-verlag.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN (PDF): 978-3-940913-85-2
ISBN (ePub): 978-3-940913-88-3

2. Auflage 2011 © Frankfurt School Verlag GmbH, Sonnemannstraße 9-11,60314 Frankfurt am Main

Vorwort

Die Frankfurt School of Finance & Management, kompetenter Bildungspartner des Kreditgewerbes, bietet engagierten Nachwuchskräften von Banken an, sich für anspruchsvolle Fach- und Führungsaufgaben zu qualifizieren: Das dreistufige Qualifikationsprofil Bankfachwirt-, Bankbetriebswirt- und Management-Studium hat sich erfolgreich in der Bankindustrie Deutschlands etabliert und bewährt.

Das aus neun Modulen bestehende Kompendium bankbetrieblicher Anwendungsfelder ist für Studierende des Bankbetriebswirt-Studiums konzipiert und mit dem Curriculum entsprechend abgestimmt. Zusätzlich ist das Werk auch für Studierende der Hochschulen und für Praktiker als Studienbuch gut geeignet.

Es hat sich als Medium zur Weiterentwicklung der fachlichen, persönlichen und sozialen Kompetenz bewährt. Die enge Verknüpfung von Theorie und Praxis hat dieser Fachbuchreihe ein klares eigenständiges Profil gegeben.

Die positive Resonanz unserer Leser bewegt uns, die Fachbuchreihe auf dieser Linie konsequent weiter zu entwickeln. Sämtliche Fachbücher werden didaktisch und inhaltlich grundlegend überarbeitet.

Das Retail-Banking unterliegt einem dynamischen Veränderungsprozess und ist heute wieder einer der wichtigsten Geschäftsbereiche deutscher Kreditinstitute.

Die Bereiche Kunde, Produkt und Vertrieb müssen jedoch in Einklang gebracht werden. Die Kreditinstitute stehen dabei vor zahlreichen Herausforderungen: Sie müssen

Kunden gewinnen, langfristig binden und umfassende Kundenkenntnis aufbauen,

Produkte und Preise wettbewerbsfähig gestalten,

Vertriebsprozesse und Vertriebswege optimal aufeinander abstimmen,

Mitarbeiter qualifizieren und notwendiges Wissen bereitstellen.

Die in diesem Buch aufgezeigten innovativen Vertriebskonzepte und -strategien für eine erfolgreiche Marktbearbeitung bleiben nicht bei traditionellen Ansätzen stehen. Dadurch wird gewährleistet, dass der Leser im dynamischen Alltagsgeschäft von den Inhalten in hohem Maße profitiert.

In didaktischer Hinsicht wird besonderer Wert auf die weitere Stärkung des Praxisbezuges der dargebotenen Inhalte gelegt. Zusätzliche Fallbeispiele erleichtern und vertiefen das Verständnis. Konkrete Einstiege und Schlüsselbegriffe zu Beginn sowie Zusammenfassungen und Arbeitsaufgaben am Ende der Kapitel unterstützen das Selbststudium unserer Studierenden und Leser.

Unser Dank gilt den Studierenden, Dozenten und Praktikern, die zur Weiterentwicklung des Kompendiums bankbetrieblicher Anwendungsfelder beigetragen haben. Ganz besonders danken wir unseren Autoren für ihren Einsatz bei der Umsetzung der Anregungen sowie der fachlichen und didaktischen Weiterentwicklung dieses Bandes.

Prof. Dr. Udo Steffens

Präsident und Vorsitzender der Geschäftsführung

der Frankfurt School of Finance & Management

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

Aufbau des Buches

1

Markt und Wettbewerb

1.1

Charakteristika des Retail Banking

1.1.1

Kunde

1.1.2

Produkt

1.1.3

Vertrieb

1.2

Trends und Tendenzen

1.2.1

Bedeutungsgewinn des Retail Banking

1.2.2

Wettbewerb im Retail Banking

1.2.3

Veränderte Rahmenbedingungen im Retail Banking

1.2.4

Verändertes Kundenverhalten

1.2.5

Veränderungen im Vertrieb der Retail Bank

1.2.6

Einsatz neuer Medien

1.2.7

Fortschreiten der Industrialisierung

2

Marktbearbeitung

2.1

Marktbearbeitungs-Mix

2.1.1

Produktpolitik

2.1.2

Preispolitik

2.1.3

Kommunikationspolitik

2.1.4

Distributionspolitik

2.1.5

Vertriebspolitik

2.1.6

Servicepolitik

2.2

Marktbearbeitungsstrategien

2.2.1

Strategie-Optionen

2.2.2

Strategie-Auswahl

2.2.2.1

Strategie-Auswahl nach Marktsituation

2.2.2.2

Strategie-Auswahl nach Wirtschaftlichkeit

2.2.3

Differenzierte Marktbearbeitung in der Praxis

3

Kunde

3.1

Kundensegmentierung

3.1.1

Aspekte der Kundensegmentierung

3.1.2

Anforderungen an die Kundensegmentierung

3.1.3

Ansätze der Kundensegmentierung

3.1.3.1

ABC-Segmentierung

3.1.3.2

Lebensphasenmodelle

3.1.3.3

Milieumodelle

3.1.3.3.1

Das Sinus-Modell

3.1.3.3.2

Die ibi Finanztypologie

3.1.3.3.3

Die acht Geldtypen der Commerzbank

3.1.3.4

Kombinierte Segmentierungsmethoden für Finanzdienstleister

3.1.3.5

Kundenwertermittlung

3.1.4

Status quo und Trends in der Kundensegmentierung

3.1.4.1

Eingesetzte Segmentierungskriterien

3.1.4.2

Genutzte Datenquellen

3.1.4.3

Nutzen und Folgen der Kundensegmentierung

3.1.4.4

Umsetzung der Kundenwertermittlung

3.2

Kundenbindung

3.2.1

Grundlagen der Kundenbindung

3.2.1.1

Bedeutung der Kundenbindung für Banken

3.2.1.2

Begriff der Kundenbindung

3.2.1.3

Kundenbindung aus Anbietersicht

3.2.1.4

Kundenbindung aus Nachfragersicht

3.2.1.5

Wirkungskette der Kundenbindung

3.2.2

Kundenbindungsmanagement in Banken

3.2.2.1

Zielgruppenauswahl bei der Kundenbindung

3.2.2.2

Instrumente der Kundenbindung

3.2.2.2.1

Kundenbindungsinstrumente des Marketing-Mix

3.2.2.2.2

Integrierte Kundenbindungsinstrumente

3.2.2.3

Messung und Kontrolle der Kundenbindung

3.3

Neukundengewinnung

3.3.1

Bedeutung der Neukundengewinnung für Banken

3.3.2

Prozess der Neukundengewinnung

3.3.3

Instrumente zur Neukundengewinnung

4

Produkt

4.1

Besonderheiten der Produkte und Leistungen von Banken

4.2

Produkt- und Leistungsangebot von Banken

4.2.1

Produkte und Produktkategorien

4.2.2

Gestaltung der Produktpalette

4.2.3

Produktpartnerschaften

4.3

Produktmanagement bei Banken

4.4

Pricing bei Banken

4.4.1

Strategische Rahmenbedingungen des Pricing

4.4.2

Der Pricing-Prozess

5

Vertriebswege

5.1

Persönlicher Vertrieb: Filiale, mobile Beratung und Call-Center

5.1.1

Entwicklung des persönlichen Vertriebs

5.1.2

Filiale

5.1.2.1

Erfolgsfaktoren im Filialvertrieb

5.1.2.2

Filialkonzepte

5.1.2.3

Praxisbeispiele

5.1.2.3.1

Beispiel teamBank AG – easyCredit

5.1.2.3.2

Beispiel Deutsche Bank AG – Q110

5.1.2.3.3

Beispiel Sparkassen: Sparkasse Hagen – Sparkassen Karree

5.1.3

Mobiler Vertrieb

5.1.3.1

Zielsetzung des mobilen Vertriebs

5.1.3.2

Erfolgsfaktoren des mobilen Vertriebs

5.1.3.3

Beispiel Deutsche Postbank AG

5.1.4

Call-Center

5.1.4.1

Zielsetzung des Call-Center

5.1.4.2

Erfolgsfaktoren beim Call-Center-Einsatz

5.1.4.3

Praxisbeispiel

5.2

Elektronischer Vertrieb: Selbstbedienung, Internet und Mobile-Banking

5.2.1

Entwicklung des elektronischen Vertriebs

5.2.2

Selbstbedienung (SB)

5.2.2.1

Zielsetzungen im SB-Vertrieb

5.2.2.2

Erfolgsfaktoren im SB-Vertrieb

5.2.2.2.1

Standort

5.2.2.2.2

Funktionalität

5.2.2.2.3

Integration

5.2.2.2.4

Aktive, individualisierte Kundenansprache

5.2.3

Internet-Vertrieb

5.2.3.1

Ziele und Probleme des Internet-Vertriebs

5.2.3.2

Erfolgsfaktoren im Internet-Vertrieb

5.2.3.2.1

Beratungsqualität

5.2.3.2.2

Usability

5.2.3.3

Mobile Banking

5.2.4

Social Media im Retail Banking

5.3

Multikanalvertrieb: Zusammenspiel der Vertriebswege

5.3.1

Wesen und Bedeutung des Multikanalvertriebs

5.3.2

Probleme und Anforderungen im Multikanalvertrieb

5.3.3

Positionierung und Integration der Vertriebswege

5.3.4

Vertriebssteuerung und -controlling im Multikanalvertrieb

5.3.5

Umsetzung einer Multikanalarchitektur

6

Beratung und Verkauf

6.1

Kaufen und Verkaufen – ein Prozess aus zwei Sichten

6.1.1

Der Kaufprozess des Kunden

6.1.2

Der Verkaufsprozess der Bank

6.2

Systematischer Vertriebsprozess

6.2.1

Generierung von Anlässen und Zielkunden

6.2.1.1

Anlässe für den Bankvertrieb

6.2.1.1.1

Anlässe aus der Bank-Kunde-Beziehung

6.2.1.1.2

Anlässe aus der Produktnutzung

6.2.1.1.3

Anlässe aus der Kundensituation

6.2.1.1.4

Persönliche Ereignisse

6.2.1.2

Selektion von Zielkunden

6.2.1.3

Individualisierte Ansprachekonzepte

6.2.2

Kundenansprache und Terminvereinbarung

6.2.3

Kundendialog in Beratung und Verkauf

6.2.3.1

Produktorientierter Verkauf

6.2.3.2

Kundenzentrierter Verkauf

6.3

Cross-Selling

6.3.1

Grundsätzliche „Stoßrichtungen“ des Cross-Selling

6.3.2

Der Cross-Selling-Prozess

6.3.3

Herausforderungen im Cross-Selling

6.3.4

Praxisbeispiel Clubmodell

7

Wissen und Information im Bankvertrieb

7.1

Problematik des „Information Overload“

7.2

Gestaltungsbereiche der IT-Unterstützung im Kundenmanagement

7.2.1

Kundenkenntnis und Kundeninteraktion

7.2.2

Customer Relationship Management (CRM)

7.2.2.1

Analytisches CRM

7.2.2.2

Operatives und kommunikatives CRM

7.3

Business, Customer und Competitive Intelligence

7.3.1

Business Intelligence

7.3.2

Customer Intelligence

7.3.3

Competitive Intelligence

7.3.4

Wissensmanagement im Bankvertrieb

8

Vertriebsmitarbeiter

8.1

Anforderungen an Vertriebsmitarbeiter im Retail Banking

8.2

Anforderungsprofil des Vertriebsmitarbeiters

8.3

Wissensarbeit im Bankvertrieb

9

Literatur- und Quellenverzeichnis

10

Stichwortverzeichnis

11

Kurzbiografien der Autoren

Aufbau des Buches

Das vorliegende Buch ist in acht Kapitel gegliedert. Die Zielsetzung ist eine umfassende Betrachtung der Themenbereiche Kunde, Produkt und Vertrieb im Retail Banking. Es werden gleichermaßen äußere Einflüsse des Gesamtmarktes und unternehmensinterne Gegebenheiten beschrieben.

Das erste Kapitel definiert zunächst die charakteristischen Themenfelder und Faktoren, die auf das Retail Banking einwirken. Dabei werden sowohl die aktuellen Entwicklungen von Markt und Wettbewerb und der neuerliche Bedeutungsgewinn des Retail Banking als auch Herausforderungen und Handlungsfelder, die sich aus verändertem Kundenverhalten, komplexen Produkten und Veränderungen im Vertriebsumfeld der Banken ableiten lassen, dargestellt.

Das zentrale Thema des zweiten Kapitels ist die Marktbearbeitung. Dabei erfolgt die Beschreibung des Marktbearbeitungs-Mix im Retail Banking mit den Teilbereichen Produkt-, Preis-, Kommunikations-, Distributions-, Vertriebs- und Servicepolitik. Auch die daraus folgenden Marktbearbeitungsstrategien mit ihren Optionen und Auswahlkriterien werden intensiv beleuchtet. Sowohl die Betrachtung der Marktsituation als auch die Wirtschaftlichkeit von Marktbearbeitungsstrategien führen zu einer differenzierten Marktbearbeitung. Deren tatsächliche Umsetzung in der Praxis wird abschließend dargestellt.

Der Kunde steht im Mittelpunkt des dritten Kapitels. Kundensegmentierung, Kundenbindung und Neukundengewinnung sind zentrale Themen im Retail Banking bzw. im Bankvertrieb. Anforderungen und Ansätze der Kundensegmentierung zeigen eine besondere Problematik bei der praktischen Nutzbarkeit dieser Methoden. ABC-Segmentierung, Lebensphasenmodelle und Milieumodelle haben jede für sich Vor- und Nachteile, die betrachtet werden. Auch die Kundenwertermittlung rückt zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses bei der Identifikation attraktiver Bankkunden.

Nach der Segmentierung geht es um die Bindung der bestehenden Kunden. Mit der Dauer der Beziehung steigt zumeist auch der mit dem Kunden erwirtschaftete Ertrag. Somit wird die große Bedeutung der Kundenbindung deutlich. Kundenbindung aus Kunden- und Banksicht sowie die zugrunde liegende Wirkungskette werden in diesem Kapitel beschrieben. Inhalte sind zudem das eigentliche Kundenbindungsmanagement der Bank und die dafür notwendige Zielgruppenauswahl sowie die einzusetzenden Instrumente der Kundenbindung. Abschließend werden Messung und Kontrolle der Aktivitäten betrachtet.

Sich ausschließlich auf die Bindung bestehender Kunden zu fokussieren, reicht aufgrund natürlicher Kundenfluktuation nicht aus. Somit ist die Neukundengewinnung der dritte Themenschwerpunkt im Kontext Kunde. Die Bedeutung der Neukundengewinnung für Banken, der eigentliche Prozess und die Instrumente der Neukundengewinnung sind Gegenstand der Betrachtung.

Im vierten Kapitel stehen die Besonderheiten der Produkte und Leistungen und das bestehende Produkt- und Leistungsangebot von Banken im Mittelpunkt. Neben der Beschreibung der Produkte und Produktkategorien finden sich Ausführungen zur Gestaltung der Produktpalette, zu Produktpartnerschaften und zum Produktmanagement im Retail Banking. Mit der Gestaltung der Produkte geht das Pricing bei Banken einher. Deshalb erfolgt zusätzlich die Darstellung der strategischen Rahmenbedingungen des Pricing und des daraus resultierenden Pricing-Prozesses.

Das fünfte Kapitel beschäftigt sich ausführlich mit den Vertriebswegen der Retail Bank. Strukturiert werden diese in persönliche Vertriebswege – Filiale, mobile Beratung und Call-Center – sowie in elektronische Vertriebswege – Selbstbedienung, Internet und mobile Anwendungen. Je nach Ausprägung des Vertriebsweges werden Entwicklungen, Zielsetzungen, Erfolgsfaktoren, Umsetzungskonzepte, besondere Problemstellungen und Praxisbeispiele erläutert.

Das Zusammenspiel der Vertriebswege ist Gegenstand des letzten Abschnitts „Multikanalvertrieb“ in diesem Kapitel. Neben Wesen und Bedeutung werden die besonderen Probleme und Anforderungen beschrieben. Besonderes Augenmerk wird auch auf die Positionierung und Integration der Vertriebswege, die Vertriebssteuerung und das Vertriebscontrolling im Multikanalvertrieb sowie auf die Umsetzung einer Multikanal-Architektur gelegt.

Die Beratung und der Verkauf werden sowohl aus Bank- als auch aus Kundensicht im sechsten Kapitel betrachtet. Kaufprozesse und der systematische Vertriebsprozess führen zunächst in die Thematik ein. Die Generierung von Anlässen und Zielkunden aus der Bank-Kunde-Beziehung, aus der Produktnutzung, aus der Kundensituation und aufgrund persönlicher Ereignisse sind Schwerpunkt dieses Abschnitts. Die Selektion von Zielkunden und die individualisierte Kundenansprache sind ableitbare Handlungsfelder des systematischen Vertriebsprozesses. Ihnen folgen die Kundenansprache zur konkreten Terminvereinbarung und letztlich der Kundendialog in Beratung und Verkauf.

Die Bedeutung des Cross-Selling und die besonderen Effekte für die Bank werden im letzten Abschnitt dieses Kapitels betrachtet. Neben den grundsätzlichen „Stoßrichtungen“ des Cross-Selling ist vor allem der Prozess dieses Vorgehens von Interesse. Abgerundet wird die Darstellung durch die Betrachtung des aktuellen Status quo in Banken sowie den daraus resultierenden Herausforderungen und zukünftigen Entwicklungen.

Die Problematik des „Information Overload“ ist Ausgangspunkt des siebten Kapitels zu Wissen und Information im Bankvertrieb. Dabei werden die verschiedenen Gestaltungsbereiche der IT-Unterstützung, insbesondere Kundenkenntnis und Kundeninteraktion, mit den jeweiligen Problembereichen und Lösungsmöglichkeiten beschrieben. Eine kurze Betrachtung des Customer Relationship Management und der Business, Customer und Competitive Intelligence mit Fragestellungen zur Zielsetzung und zu den einzusetzenden Werkzeugen runden diese Ausführungen ab.

Schließlich steht der Vertriebsmitarbeiter im Mittelpunkt des achten Kapitels. Zunächst erfolgt die Beschreibung aktueller Anforderungen und des sich verändernden Anforderungsprofils des Vertriebsmitarbeiters im Retail Banking. Die Thematik der Wissensarbeit im Bankvertrieb stellt abschließend dar, wie Vertriebsmitarbeiter durch ein aktives Wissensmanagement in ihrer Tätigkeit unterstützt werden können.

1Markt und Wettbewerb

Der Bankenmarkt in Deutschland ist hart umkämpft. Sowohl interne als auch externe Faktoren wirken auf die Kosten- und Erlösseite der Retail Banken ein. Die aktuelle Wettbewerbssituation verlangt von den traditionellen Filialbanken einerseits, konsequent ihren bisherigen Kurs der Kostenoptimierung beizubehalten, andererseits jedoch die Erlösseite aktiver zu gestalten. Hinzu kommen Nachwirkungen aus der Finanzkrise der letzten Jahre, die Regulierungsmaßnahmen, verschärfte interne Vorgaben sowie ein verändertes Kundenverhalten umfassen. Aber neben einer Reihe von Risiken lassen sich auch neue Vertriebschancen erkennen, die unter anderem auf der Verbreitung technischer Entwicklungen wie z. B. Smartphones oder der Ausweitung der Nutzung sozialer Netzwerke basieren.

Schlüsselbegriffe

Charakteristika des Retail Banking

Wettbewerbssituation im Retail Banking

Herausforderungen in den Bereichen Kunde, Produkt und Vertrieb

Zukünftige Handlungsfelder für die Retail Bank

1.1Charakteristika des Retail Banking

Das Retail Banking ist eines der wichtigsten Geschäftsbereiche deutscher Kreditinstitute. Was verbirgt sich genau hinter diesem Begriff, welche charakteristischen Merkmale gibt es und welche Herausforderungen kommen auf das Retail Banking zu?

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Retail Banking umfasst das Mengengeschäft mit Privatkunden sowie mit kleineren Geschäfts- und Firmenkunden.

Mit der Definition des Retail Banking ist bereits die ökonomische Besonderheit dieses Geschäftsbereichs angesprochen: Die einzelnen Geschäfte umfassen i. d. R. ein eher geringes Volumen. Somit stehen dem einzelnen Geschäft relativ hohe Kosten (z. B. für die Unterhaltung eines Filialnetzes) gegenüber. Das Mengengeschäft kann also nur dann erfolgreich betrieben werden, wenn es den Banken gelingt, die Vertriebskosten einerseits gering zu halten bzw. zu reduzieren und andererseits entsprechend viele Kunden zu halten oder neu zu gewinnen.

1.1.1Kunde

Bankkunden werden nach unterschiedlichen Kriterien in Gruppen unterteilt. Zumeist erfolgt eine Gruppierung nach Privatkunden, Firmenkunden und institutionellen Kunden. Die Privatkunden werden wiederum – je nach konkreter Segmentierung und Strategie der einzelnen Bank – nach Mengenkunden und Individualkunden differenziert. In der Regel erfolgt diese Unterteilung nach festgelegten Kriterien wie z. B. der Höhe der Geldanlagen bzw. des Vermögens sowie der Nutzung bestimmter Bankprodukte.

Kunden des Retail Banking sind also i. d. R. Privatpersonen, die insbesondere Produkte aus dem Mengengeschäft nachfragen. Je nach Segmentierungskriterien der Bank können ebenfalls kleinere Geschäfts- und Firmenkunden (meistens bis zu einer bestimmten Umsatzhöhe) in diesem Geschäftsbereich gehören.

1.1.2Produkt

Die Produktpalette im Retail Banking umfasst sowohl Zahlungsverkehr, Geldanlage als auch Kredite. Im Überblick können diese wie folgt strukturiert werden:

Zahlungsverkehr (Konten & Karten)

Geldanlage (Anlegen & Sparen)

Kredite (Konsum & Finanzierung)

Versicherungen

Wertpapiere

Der Vertrieb dieser Produkte ist von den besonderen Charakteristika der Bankprodukte geprägt: Sie sind immateriell, sehr „vertrauensintensiv“, schnell imitierbar und nicht patentrechtlich geschützt. Hinzu kommt die Notwendigkeit, den externen Faktor „Kunde“ in die jeweils endgültige Erstellung und Ausgestaltung des Produktes einzubinden.

1.1.3Vertrieb

Der Vertrieb im Retail Banking ist heute insbesondere durch die Wahl des primären Vertriebsweges gekennzeichnet. Dabei sind eine Reihe unterschiedlicher Spielarten zu unterscheiden: traditionell filialzentrierte Universalbanken, reine Internet-Direktbanken und diverse Mischformen beider Ausprägungen. Das Stichwort „Multikanalvertrieb“ ist in aller Munde, denn auch der internetaffine Online-Kunde wünscht im Bedarfsfall persönliche Beratung in der Filiale, wie auch der Filialkunde den direkten, zeit- und ortsunabhängigen Transaktionsweg über das Internet oder das SB-Gerät zu schätzen weiß. Hinzu kommt die Verbindung elektronischer und persönlicher Vertriebskanäle durch die Nutzung sozialer Netzwerke, die zu einer deutlichen Erweiterung der Möglichkeiten zum Kundendialog führen.

Im Retail Banking lassen sich zwei gegenläufige strategische Ausrichtungen erkennen, die eng mit der Auswahl des primären Vertriebsweges verbunden sind: die angestrebte Kostenführerschaft oder die angestrebte Qualitätsführerschaft einer Bank.

Bei der Kostenführerschaft setzt sich das Kreditinstitut zum Ziel, das Mengenkundengeschäft mit möglichst geringen Kosten anzubieten und die Dienstleistungen entsprechend günstig am Markt zu platzieren. Es werden insbesondere die elektronischen Vertriebs- und Transaktionskanäle in den Mittelpunkt gestellt; das kostenintensivere Filialgeschäft wird nur eingeschränkt (oder gar nicht) aufrechterhalten. Beispiele für Kostenführer im Retail Banking sind Direktbanken wie z. B. die ING-DiBa oder die netbank.

Die Qualitätsführerschaft zeichnet sich vor allem durch intensive Kundenberatung und -betreuung aus. Insbesondere in den Filialen, aber auch über den mobilen Vertrieb, werden beratungsintensive Produkte angeboten, wobei auch hier einfache Standardprodukte durchaus über elektronische Kanäle vertrieben werden. Beispiele für diese Strategie im Retail Banking sind im Grunde alle herkömmlichen Universalbanken aus den drei Institutsgruppen. Eine besondere Position nehmen hier Finanzdienstleister und unabhängige Finanzvertriebe wie z. B. die MLP AG ein, die fast ausschließlich auf den Vertriebsweg der persönlichen Beratung setzen.

Neben den Vertriebskanälen und dem daraus resultierenden Pull- oder Push-Vertrieb (Pull-Vertrieb: der Kunde ist aufgrund der zu erwartenden Preisvorteile von sich aus bereit, eine Bankverbindung aufzubauen; Push-Vertrieb: Es besteht ein Zugang zum Kunden, z. B. über den mobilen Vertrieb, oder am Point-of-Sale) können sowohl mit einer Trading-down als auch mit einer Trading-up Strategie Kunden gewonnen werden. Beim Trading-down geht es darum, möglichst große Preisvorteile durch die Standardisierung der Produkte und eine Vereinfachung aller Vertriebsprozesse an den Kunden weiterzugeben und diesen dadurch zu gewinnen. Trading-up steht für die dem entgegenstehende Strategie, sich mit hochwertigen (Zusatz-)Leistungen, z. B. durch wissensbasierte Beratung, zu behaupten (vgl. Abbildung 1.1).

Positionierung im Retail Banking

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Abbildung 1.1

Quelle: Leichtfuß/Schmidt-Richter 2007

Die Wahl der bevorzugten Vertriebskanäle sowie die Preisstrategie der Bank beeinflussen maßgeblich die Wettbewerbssituation des Unternehmens. Auch wenn ein Großteil der traditionellen Universalbanken nach wie vor den Vertriebsweg Filiale bevorzugt und diesen lediglich um Möglichkeiten des elektronischen Vertriebs anreichert, so ist doch die Konkurrenz aus dem Direktbanken- und Spezialbankenbereich spürbar. Insbesondere bei bestimmten Produkten ist eine erhebliche Verlagerung auf die zuletzt genannten Institutsformen beobachtbar: Die bestehenden Kostenvorteile von Direktbanken und Spezialinstituten schlagen sich unmittelbar in den günstigeren Kreditkonditionen bzw. besseren Anlagezinsen nieder.

1.2Trends und Tendenzen

Die Herausforderungen für das Retail Banking sind von der Erwartung eines dynamischen Wandels und eines zunehmenden Wettbewerbs geprägt. Durch die Vielzahl veränderter Rahmenbedingungen ist eine Verschlechterung der Ertragsaussichten im deutschen Retail Banking zu erwarten. Neue Wettbewerber, Globalisierung, Deregulierung und erhöhte Markttransparenz auf der einen, veränderte Kundenansprüche, neue Technologien und aufsichtsrechtliche Änderungen auf der anderen Seite führen zu folgender Situation:

Die Margen und Provisionen aus den Bankleistungen der Kreditinstitute sinken, die Kosten für die Erstellung und den Vertrieb der Leistungen steigen hingegen. Als Folge dessen sinken die Erträge. Welche Konsequenzen ziehen deutsche Retail Banken aus diesen Entwicklungen bzw. welche Handlungsfelder müssen bearbeitet werden, um die Ertragssituation zu verbessern und das beschriebene Spannungsfeld auszulösen? Grundsätzlich können zunächst zwei Handlungsalternativen für die strategische Ausrichtung der Bank gesehen werden:

a)Den Geschäftsbereich „Retail Banking“ aufgeben bzw. „auf kleiner Flamme“ weiter betreiben: Insbesondere große Kreditinstitute mit ausgeprägten weiteren Geschäftsfeldern diskutieren diese Lösung durchaus. Allerdings lässt sich bei näherer Beobachtung mancher dieser anderen Geschäftsfelder erkennen, dass sie nicht konstant in ihrem Ergebnisbeitrag sind, so z. B. das Investment Banking. Bisher gab es zwar Ansätze zur Ausgliederung bzw. Einstellung des Retail Banking, diese wurden jedoch bisher wieder verworfen (z. B. bei der Deutschen Bank die Ausgliederung der Deutsche Bank 24).

b)Die Ergebnisverbesserung durch eine entsprechende strategische Neuausrichtung vorantreiben: Da die Alternative a) für viele große und in der Regel für alle kleineren Kreditinstitute nicht zur Disposition steht, müssen konsequente Kostensenkungsprogramme auf der einen und die Verbesserung der Geschäftsergebnisse auf der anderen Seite angestrebt werden. Letzteres wird vor allem durch eine Intensivierung der Kundenorientierung und die Ausrichtung des Vertriebs auf die Bedürfnisse des Kunden erreicht, welches wiederum neue Kosten verursachen kann. Dieses Spannungsfeld zwischen Kosteneinsparung und Kundenorientierung ist für den überwiegenden Teil der Retail Banken in den letzten Jahren Alltag geworden.

Insgesamt können vier wesentliche Aspekte für diese Entwicklung beschrieben werden: verändertes Kundenverhalten, komplexer werdende Produkte, Veränderungen in den Vertriebsstrukturen deutscher Retail Banken sowie eine zunehmende Industrialisierung von Geschäftsprozessen.

1.2.1Bedeutungsgewinn des Retail Banking

In den letzten Jahren hat das Retail Banking an Bedeutung gewonnen: Stand in Zeiten der „New Economy“ das Investment Banking im Mittelpunkt des Interesses, so geht mit dem dortigen Rückgang der Erträge ein Bedeutungsgewinn des Retail Banking einher.

Ein Indikator dafür ist die Entwicklung des privaten Geldvermögens in Deutschland. „Nachdem die deutschen privaten Haushalte schon im Vorjahr die Vermögensverluste aus dem Krisenjahr 2008 ausgleichen und das Vorkrisenniveau sogar überschreiten konnten, setzte sich der Vermögensaufbau stetig fort. Nach Schätzungen von Allianz Global Investors konnte das Bruttogeldvermögen im abgelaufenen Jahr 2010 um knapp 220 Milliarden Euro zulegen und bis Ende des Jahres auf einen neuen Höchststand von 4,88 Billionen Euro ansteigen. Ende 2009 hatte das Geldvermögen noch 4,67 Billionen Euro betragen. Rein statistisch verfügt damit jeder Bundesbürger über 59.900 Euro, nach 57.000 Euro Ende 2009“ (Finke 2011).

Allerdings ist zu vermerken, dass das Geldvermögen, das in den achtziger und neunziger Jahren in Deutschland stets Zuwächse von ca. 7 % erzielen konnte, nunmehr ein Wachstum von durchschnittlich 5 % in den Jahren 2009 und 2010 verzeichnet, während in der ersten Dekade dieses Jahrhunderts im Durchschnitt lediglich 3 % Geldvermögenswachstum erreicht werden konnten. Gründe für das höhere Sparvolumen der letzten Jahre sind vor allem in den gestiegenen verfügbaren Einkommen sowie in einer etwas höheren Sparquote zu sehen. Insbesondere der deutliche Abbau der Erwerbslosigkeit und ein niedriges Zinsniveau führten zudem zu einer Erhöhung der Sachanlagen, welches sich insbesondere am Wohnungsmarkt zeigt. Im Anlageverhalten der Bundesbürger sind immer noch die Auswirkungen einer ungewissen wirtschaftlichen Entwicklung zu spüren. Auch wenn die Stimmung insgesamt positiver zu sein scheint, werden nach wie vor kurzfristige verfügbare und sichere Anlageformen präferiert. In 2010 verzeichnen diese Anlageformen einen Anstieg von 10 %, dagegen sind aufgrund der geringen Verzinsung und der Bindungsfrist der Anlage Termineinlagen und Sparbriefe weniger attraktiv. Auch das private Engagement am Aktienmarkt kann nach wie vor insbesondere aufgrund der Erfahrungen aus der Finanzmarktkrise als zurückhaltend bewertet werden (Finke 2011).

Insgesamt sind rund 38 % des gesamten Geldvermögens der privaten Haushalte in Deutschland bei Banken und Sparkassen angelegt. Dies entspricht rund 1,85 Billionen Euro, die in Sparbriefen, Sicht-, Termin- und Spareinlagen hinterlegt sind. Weitere 28 % des privaten Geldvermögens finden sich in Kapitalmarktprodukten, weitere 29 % bei Versicherungen (Finke 2011).

1.2.2Wettbewerb im Retail Banking

Insbesondere zwei Strömungen zeichnen das Bild des verschärften Wettbewerbs im Retail Banking in Deutschland aus: zum einen der zunehmende Konkurrenzdruck, zum anderen die nach wie vor nicht abgeschlossene Konsolidierung der vorhandenen Banken. Weitere globale Megatrends wirken sich ebenfalls auf das Retail Banking aus, so z. B. die Deregulierung und Öffnung der Finanzmärkte und die wachsende Preissensibilität und -transparenz.

Der zunehmende Konkurrenzdruck entsteht nicht zuletzt durch die Globalisierung der Finanz- und Kapitalmärkte. Die Vernetzung der Märkte durch eine immer schnellere Informationstechnologie führt zu einer besseren Marktübersicht sowohl von Kunden als auch von Wettbewerbern. Im Zuge dessen werden Markteintrittsbarrieren geringer, insbesondere auch für ausländische Konkurrenten und für branchenfremde Anbieter. Dem daraus resultierenden Verfall der Margen – auch durch konjunkturelle Einflüsse – steht die Erhöhung der Kosten für IT und Personal gegenüber. Über einen harten Preiskampf mit sich permanent unterbietenden Konditionen treten neue und alte Anbieter am Retail Markt auf.

Nach wie vor ist der deutsche Bankenmarkt von einer hohen Anzahl an Instituten mit eher geringen Marktanteilen geprägt. Zusätzlich treten Wettbewerber am deutschen Bankenmarkt auf, die die Angebote der bestehenden Institute entweder substituieren oder sich auf Nischen spezialisieren und mit innovativen Vertriebskonzepten neue Wege gehen. Hierbei kann es sich sowohl um „verschlankte“ Filialkonzepte (z. B. Targobank) handeln, um innovative Kredit-Shops (z. B. bis 2009 Fortis „Credit4me“) oder um die Spezialisierung auf ein Produkt (z. B. der „easyCredit“ der TeamBank) und den vollständigen Verzicht auf Filialen durch eine Direktbank (z. B. ING-DiBa). Auffallend ist auch die zunehmende Neigung ausländischer Kreditinstitute, auf den deutschen Markt zu expandieren.

Hinzu kommen eine Reihe von Non- und Near-Banks, die am Markt Fuß fassen:

Non-Banks aus den Reihen der bankfremden Branchen, die zunächst lediglich zur Finanzierung der eigenen Produktverkäufe Bankleistungen anboten (z. B. Versandhäuser und Automobilkonzerne)

Near-Banks, die aus bankennahen Finanzdienstleistungsbereichen stammen und ihr Produktportfolio in Richtung der Bankleistungen ausgedehnt haben, insbesondere sind hier die Versicherungen zu nennen.

All diese Anbieter konnten in den letzten Jahren zum Teil massiv Kunden gewinnen. Auch wenn die persönliche Beratung ihren Stellenwert erhält oder in bestimmten Kundensegmenten und Produktsparten gar ausbauen kann, nimmt das Direct Banking einen festen Platz im Wettbewerb ein.

1.2.3Veränderte Rahmenbedingungen im Retail Banking

Zunächst stand die Harmonisierung der aufsichtsrechtlichen Regelungen innerhalb der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion mittels einheitlicher Rahmenbedingungen für Finanzgeschäfte in der EU im Mittelpunkt. In Deutschland wurden im Zuge dessen eine Reihe von Gesetzen novelliert, so z. B. das Kreditwesen- und das Wertpapierhandelsgesetz. Auch die Eigenkapitalhinterlegung von Bankgeschäften, also der Umgang mit den Kredit- und operativen Risiken, unterlag weitgehenden Veränderungen. Aktuell ist das Stichwort „Basel III“ zu nennen, mit dessen Regelwerk insbesondere die Eigenkapitalregeln für Kreditinstitute weiter verschärft werden. Zusätzliche Aspekte der Regulierungswelle sind die Erweiterung der MiFID (Markets in Financial Instruments Directive; Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente) sowie die Einführung von Beratungsprotokollen und Produkt-Informationsblättern, die allesamt zu erhöhten Aufwendungen seitens der Banken und Sparkassen führen werden. Letztere wiederum bringen erhebliche Ressourcen ein in Maßnahmen zum Compliance- (Regelkonformitäts-) und Risikomanagement (Steria Mummert Consulting 2010, S. 4).

Veränderte Rahmenbedingungen im Retail Banking

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Abbildung 1.2

Quelle: Eigene Darstellung

1.2.4Verändertes Kundenverhalten

Zeigte sich bisher das veränderte Kundenverhalten im abnehmenden persönlichen Kontakt zwischen Kunde und Bank sowie in der verringerten Institutsloyalität und einer höheren Wechselbereitschaft des Kunden, so lässt sich im Anschluss an die Finanzkrise durchaus eine Renaissance der Hausbankbeziehung beobachten. Die Thematik des Kundenvertrauens hat im Zuge der Rückgewinnung von Bankenreputation einen erheblichen Stellenwert erreicht (Steria Mummert Consulting 2010, S. 4).

Dennoch bleibt die zunehmende Selbstständigkeit von Kunden und Kundengruppen bei der Information und Entscheidung bezüglich finanzieller Gegebenheiten für Banken und Sparkassen von erheblicher Bedeutung insbesondere für die strategische Ausrichtung der jeweiligen Vertriebswege.

Der Bankkunde von heute ist aufgrund der zur Verfügung stehenden Medien wesentlich informierter und damit auch selbstständiger in seinen finanziellen Entscheidungen als noch vor einigen Jahren. Durch die stetig wachsende Informationstransparenz, z. B. durch die Möglichkeit von Konditionenvergleichen oder Banken-Rankings, erwartet der Kunde sowohl bestimmte Konditionen als auch Qualitätsmerkmale.

Er hat heterogene Wünsche und Bedarfe, die er erfüllt wissen möchte. So erwartet er einerseits ein kostenloses Girokonto, andererseits eine umfassende und kompetente Beratung, wenn er z. B. eine Immobilie finanzieren möchte. Der „hybride“ Kunde, der heute die Güter des alltäglichen Bedarfs schnell und einfach beim Discounter kauft und morgen etwas Besonderes im Feinkostgeschäft auswählt, lässt sich im übertragenen Sinne auch in der Retail Bank finden.

Der Kunde ist dabei durchaus bereit, den intensiven Bemühungen der Konkurrenzbanken um seine Person und den avisierten Lockangeboten zu folgen. Attraktive Produkte und Dienstleistungen werden mit Incentives und Unterstützungsleistungen angereichert, so dass ein Wechsel der Bankverbindung immer leichter fällt.

Insbesondere durch die elektronischen Vertriebswege Internet und Selbstbedienungsgeräte kommt es zu einer „Entpersonalisierung“ des Bankgeschäfts. Umfragen ergeben, dass zwar mehrmals im Monat oder gar wöchentlich ein SB-Gerät benutzt und damit auch die Bankfiliale aufgesucht wird. Die Schalterhalle der Bank wird allerdings erheblich seltener tatsächlich betreten.

Hinzu kommen neue Möglichkeiten des Austausches der Kunden untereinander z. B. in Bewertungs- und Vergleichsportalen, in Themen-Blogs oder in Angeboten des Community Banking, durch die eine bisher nicht vorhandene Bandbreite der Kunde-Kunde-Kommunikation, aber auch einer direkten Bank-Kunde-Kommunikation realisiert wird.

1.2.5Veränderungen im Vertrieb der Retail Bank

Die Stärkung des eigenen Vertriebs ist für viele Retail Banken mittlerweile eine Erfolg versprechende Strategie, um dem zunehmenden Wettbewerbsdruck und den gestiegenen Kundenanforderungen zu begegnen. Allerdings gibt es vor allem in der Vertriebsorientierung auch im internationalen Vergleich noch bedeutende Potenziale zur Verbesserung. So verbringen z. B. laut einer Studie die Vertriebsmitarbeiter ausländischer Institute immer noch deutlich mehr Zeit mit tatsächlichen Vertriebstätigkeiten als ihre deutschen Kollegen.

Dies kann als Beweis dafür gelten, dass im Vertrieb deutscher Retail Banken nach wie vor zu viele „Nebentätigkeiten“ administrativer Natur beim Vertriebsmitarbeiter angesiedelt sind und Back-Office-Tätigkeiten noch nicht prozessoptimiert und aus dem eigentlichen Vertrieb ausgelagert sind.

Hinzu kommt der nach wie vor eher zögerliche Einsatz variabler Vergütungsmodelle, obwohl ohne Zweifel deren Anreizwirkungen auf die intrinsische und extrinsische Motivation des Mitarbeiters, die Verbesserung der Cost Income Ratio, die Optimierung der Prozesse und nicht zuletzt die Steigerung des persönlichen Engagements und des unternehmerischen Denkens hiermit einhergehen.

Die beschriebenen Veränderungen im Retail Banking ziehen Anforderungen an das Multikanal- und Kundenmanagement nach sich. Mit dem Aufbau der zahlreichen Vertriebswege ergibt sich die Problematik der Verbindung und Vernetzung zwischen diesen Wegen. Es entsteht eine hohe Komplexität auf der einen und die Gefahr der Entpersonalisierung auf der anderen Seite der Kundenbeziehung. Sowohl die einheitliche Sicht des Kunden auf die Bank als auch umgekehrt die ganzheitliche Sicht auf den Kunden sind in Gefahr. Über alle Kundenkontakt-Kanäle hinweg müssen die Informationen über Aktivitäten und Transaktionen des Kunden zur Verfügung stehen.

Neben dieser Kanalintegration kommt dem Kundenmanagement und somit der aktiven Kundenpflege besondere Bedeutung zu, um die möglichen negativen Folgen rein elektronischer Kontakte aufzuwiegen. Je nach Kundenpräferenz müssen dabei der einzelne Vertriebsweg selbst wie auch die jeweiligen Angebote und Produkte entsprechend positioniert werden.

Trotz aller Informationsmöglichkeiten stößt auch der selbstständige und informierte Kunde an Grenzen, wenn er in bestimmten Produktbereichen der schwer überschaubaren Angebotsvielfalt gegenüber steht.

Insbesondere bei weit in die Zukunft reichenden Entscheidungen z. B. bezüglich der Altersvorsorge oder auch bei der Immobilienfinanzierung entsteht eine Produktkomplexität, die dem Kunden eine eigenständige Entscheidung kaum möglich macht. Gerade diesen Produktbereichen kann jedoch eine wachsende zukünftige Bedeutung zugemessen werden, so dass hier von einem hohen Beratungsbedarf ausgegangen werden kann.

Angebotsvielfalt und Komplexität ziehen also eine gewisse Beratungsintensität nach sich, während Standardprodukte über elektronische Vertriebswege abgeschlossen werden. Doch auch vermeintlich einfache Bankprodukte werden zunehmend komplex: durch den verstärkten Wettbewerb wird mittels neuer Produktkreationen und Bündelung unterschiedlichster Leistungen auch dieser Teilbereich unüberschaubar. Letztlich sind individuell zugeschnittene Produktbündel und -lösungen gefragt, die dem jeweiligen Kundenbedarf bestmöglich entsprechen.

Herausforderungen im Retail Banking

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Abbildung 1.3

Quelle: Eigene Darstellung

Diese Anforderungen an die Beratung des Kunden haben die Banken und Sparkassen durchaus erkannt. Aus diesem Grund werden in den nächsten Jahren mehr als 60 % der Institute in diesen Bereich Investitionen tätigen (Steria Mummert Consulting 2010, S. 4).

1.2.6Einsatz neuer Medien

Der Trend zu Anwendungen des Web 2.0 macht auch vor Banken und Sparkassen nicht halt (Steria Mummert Consulting 2010, S. 4). Neben Investitionen in Vertrieb und Kundenmanagement werden insbesondere Smartphone-Applikationen und Angebote im Bereich der sozialen Medien als Investitionsschwerpunkte genannt.

Smartphones werden dabei sowohl für den Informations- und Kommunikationsbereich als Endgerät verwendet als auch zunehmend für Transaktionen zum Einsatz gebracht. Die Teilnahme an sozialen Netzwerken ist für mehr als die Hälfte aller Banken und Sparkassen ein Thema. Dabei stehen Aspekte der Kundenweiterempfehlung, des vertrieblichen Einsatzes, des Services, der Personalgewinnung und des Wissensmanagements im Vordergrund.

Eher nicht durchsetzen werden sich nach Einschätzung von Experten hingegen Vermittlungsplattformen für Kredite zwischen Privatpersonen. Insgesamt werden die Themen Datenschutz sowie negatives virales Marketing den Einsatz neuer Medien maßgeblich mitbestimmen.

1.2.7Fortschreiten der Industrialisierung

Die Industrialisierung der Prozesse ist weiterhin ein wichtiges Handlungsfeld für die Verbesserung der Ertragslage im Retail Banking. Auf den fortschreitenden Wettbewerb wird vor allem mit Änderungen in der Arbeitsund Prozessorganisation reagiert.

Für das Retail Banking bedeutet dies insbesondere

die Optimierung und Reorganisation unternehmensinterner Abläufe,

die Standardisierung von Geschäftsprozessen, z. B. durch die Einführung von Standardsoftware,

die Auslagerung von Nicht-Kernprozessen durch Outsourcing solcher Prozesse,

den Aufbau komplexer Lieferketten mit externen Zulieferern und

die Individualisierbarkeit der Leistungen durch die Teilung der Gesamtleistung in einzelne Produkt-Komponenten.

Zielsetzung ist dabei vor allem die Erleichterung der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit, aber auch die Verringerung der Komplexität und die Fokussierung der vorhandenen Ressourcen auf das Kerngeschäft sind zu nennen. Unter dem Stichwort des Lean Banking werden diese Industrialisierungsbemühungen im Retail Banking bereits seit Jahren diskutiert und nun angesichts der beschriebenen Rahmenbedingungen erneut aufgegriffen.

Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch die so genannte „Modularisierung von Wertschöpfungsketten“ in Retail Banken: „Bislang vertikal integrierte Wertschöpfungsketten werden in Teilprozesse zerlegt, die einen konkreten Prozessoutput mit definierten Schnittstellen besitzen.“ Dies schlägt sich in der Entstehung von Funktionsspezialisten im Retail Banking nieder: der Abwicklungsbank, der Produktbank und der Vertriebsbank. Jede für sich übernimmt bestimmte, spezialisierte Aufgaben und lässt dadurch auch neue Angebots- und Abrechnungsmodalitäten entstehen (vgl. Abbildung 1.4). Ein Beispiel hierfür sind Abwicklungsbanken, die neben der Transaktionsabwicklung für ihr eigentliches „Mutterinstitut“ diese Leistungen ebenso Mitwettbewerbern als auch branchenfremden Unternehmen mit entsprechenden Preisen anbieten und somit neben der internen Verrechnung auch eigenständig Erträge erwirtschaften können.

Modularisierung der Wertschöpfungskette

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Abbildung 1.4

Quelle: Eigene Darstellung

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Arbeitsaufgaben

1.Erläutern Sie die Positionierung traditioneller Filialbanken im Vergleich zu Direktbanken und unabhängigen Finanzvertrieben. Erläutern Sie in diesem Zusammenhang die Begriffe Pull-Vertrieb, Push-Vertrieb, Trading-up und Trading-down.

2.Insbesondere zwei Strömungen zeichnen das Bild des verschärften Wettbewerb im Retail Banking in Deutschland aus: zum einen der zunehmende Konkurrenzdruck, zum anderen die nach wie vor nicht abgeschlossene Konsolidierung der vorhandenen Banken. Erläutern Sie, was diese beiden genannten Entwicklungen kennzeichnet.

3.Erläutern Sie, inwieweit die drei Faktoren verändertes Kundenverhalten, komplexer werdende Produkte sowie Veränderungen im Vertrieb deutscher Retail Banken als Herausforderung für das Retail Banking zu verstehen sind.

2Marktbearbeitung

Zur Bearbeitung des Marktes stehen den Banken die verschiedenen Instrumente des Marktbearbeitungs-Mix zur Verfügung. Der Einsatz dieser Instrumente kann, je nach Marktbearbeitungs-Strategie, mehr oder weniger differenziert auf die verschiedenen Zielkunden(gruppen) der Bank zugeschnitten werden. Welche Marktbearbeitungsstrategie für eine Bank die richtige ist, hängt u. a. von der Marktsituation und der Wirtschaftlichkeit der Kundenansprache ab.

Schlüsselbegriffe

Marktbearbeitungs-Mix einer Bank

Instrumente des Marktbearbeitungs-Mixes

Maßnahmen aus Marketing und Vertrieb bei der Markbearbeitung

Strategie-Optionen der Bank

Status quo und Trends in der Marktbearbeitung der Banken

2.1Marktbearbeitungs-Mix

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Unter Marktbearbeitung wird im Folgenden die Ansprache bestehender und potenzieller Kunden mit Marketing- und Vertriebsinstrumenten (Marktbearbeitungs-Mix) verstanden.