Teodoro D. Cocca  Armin Lauer
Wolfgang J. Reittinger (Hg.)

Digitalisierung
im Private Banking

 
 
1. Auflage 2019
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ISBN (print): 978-3-95647-114-8
ISBN (pdf): 978-3-95647-115-5
ISBN (epub): 978-3-95647-116-2
ISBN (mobi): 978-3-95647-117-9
1. Auflage 2019  © Frankfurt School Verlag / efiport GmbH, Adickesallee 32-34, 60322 Frankfurt am Main

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Herausgeber
Autorenverzeichnis
Digitalisierung im Private Banking und Wealth Management – Chancen und Herausforderungen
Teodoro D. Cocca
Digitalisierungsstatus und Ansätze digitaler Zukunftsgestaltung im Private Banking
Daniel Pehle
Kundenperspektive
Nutzungsverhalten von digitalen Produkten durch vermögende Kunden – Eine Analyse auf Basis empirischer Daten
Teodoro D. Cocca
Vermögensverwaltung in der Ära von digitalen und sich verändernden Kundenanforderungen – Trends und Perspektiven
Frederic Brunier
Geschäftsmodelle
Regulatorische Anforderungen an die Digitalisierungsstrategien und die digitalen Geschäftsmodelle im Wealth Management
Norman J. Karrer/Andreas Borg
Digitalisierung im traditionellen Private Banking – Ein Bericht aus dem Maschinenraum
Christoph Hartgens
Das digitale Angebot einer spezialisierten Privatbank
Stephan Isenberg
Das hybride Geschäftsmodell eines globalen Players im internationalen Cross-Border-Geschäft
Gianpiero Galasso/Manuel Zolghadar
Ein Start-up als digitaler Private-Banking-Anbieter
Oliver Vins
Robo Advisors demokratisieren das Anlagegeschäft
Adriano B. Lucatelli
Wealth Management im Wandel – Anlageberatung für den Homo Digitalis
Sandra Daub
Interaktive Artificial-Intelligence-Anwendungen im Private Banking und Wealth Management
Jochen Papenbrock/Heinz-Werner Rapp
Die Digitalisierung der Schnittstelle Berater/Kunde im Private Banking
Harald Meinl
Organisation und Implementierung
Organisatorische Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie
Daniel Diemers
People Value – ein Ansatz zur Organisationsentwicklung von Privatbanken im digitalen Zeitalter
Oliver Fiechter
Kompetenzanforderungen an Kundenberater im digitalen Private Banking
Stefanie Auge-Dickhut/Bernhard Koye/Yannick Uldry

Vorwort

Die Digitalisierung stellt die zurzeit wohl wichtigste Entwicklung im Private Banking dar, zumindest diejenige, welche in Geschäftsleitungen und Aufsichtsräten am intensivsten diskutiert wird. Gleichzeitig gehen die Meinungen darüber stark auseinander, in welcher Art und Weise das Private Banking davon betroffen sein wird. Von der Meinung, die mit der Digitalisierung verbundenen technologischen Entwicklungen werden nur marginale Auswirkungen haben bis hin zur Ansicht, eine Bank oder ein Berater werden in der Vermögensberatung komplett überflüssig werden, lässt sich alles finden.
Das Autorenteam dieses Buches vertritt die Meinung, dass wir am Anfang einer Entwicklung stehen, welche möglicherweise weitreichende Änderungen im Kundenverhalten und daraus folgend für die Anbieter im Private Banking haben könnte. Welche Veränderungen tatsächlich relevant für breite Kundensegmente sein werden, ist aus heutiger Sicht alles andere als einfach zu erkennen.
Das Private Banking erweist sich schon heute als sehr facettenreich und als Branche mit einer großen Breite an unterschiedlichen Geschäftsmodellen und Strategien. Parallel dazu ist auch der Private-Banking-Kunde als solcher nicht einfach beschreibbar; so zeichnet sich die Kundschaft ebenfalls durch eine sehr bunte Vielfalt an Präferenzen und Werthaltungen aus. Der Begriff der Digitalisierung beinhaltet überdies eine Fülle von technologischen Entwicklungen, über die es nicht einfach ist, die Übersicht zu behalten, geschweige denn ein profundes Verständnis dafür zu entwickeln.
Konfrontiert mit diesen komplexen Sachverhalten kann nur eine differenzierte und möglichst sachliche Auseinandersetzung mit der Thematik einen Beitrag zur Klärung der möglichen Perspektiven liefern. Genau diesem Anspruch will vorliegendes Buch genügen, indem einer Vielzahl von Autoren die Möglichkeit gegeben wird, ihre (instituts-)spezifische Sichtweise auf das Thema der Digitalisierung im Private Banking darzulegen.
Dabei sollen dem Leser gleichzeitig auch bewusst verschiedene Meinungen präsentiert werden, von solchen, die disruptive Visionen entwerfen, über evolutive Ansätze bis zu solchen, die eine sehr nüchterne Einschätzung an den Tag legen. Vertreter von innovativen Start-ups, welche sich auf den Weg machen, die Welt des Private Bankings grundlegend zu verändern genauso wie Vertreter von etablierten Organisationen, welche teilweise seit hunderten von Jahren jede bisherige neue Entwicklung gemeistert haben und nun auch vor der vorliegenden stehen, sollen dabei zu Wort kommen.
Die wissenschaftliche Perspektive wird dabei einbezogen, um den Rahmen der Entwicklungen aufzuzeigen und eine systematische Bewertung zu erleichtern. Die Vielfalt von Meiningen soll im Vordergrund stehen und weniger die Vermittlung einer – vielleicht manchmal etwas gar einseitigen – Geschichte bzw. „Story“.
Das Herausgeber-Trio hat sich bei der Auswahl der Autoren viel Zeit genommen und mit Sorgfalt diejenigen ausgesucht und zur Abfassung eines Beitrages eingeladen, welche versprachen, besonders wertvolle Einsichten und sachlich begründete Meinungen zu liefern. Nun liegt das Gesamtwerk vor und in der Meinung der Herausgeber wurde das Ziel erreicht.
Für die engagierten Beiträge der Autoren wie auch für die einzelnen intensiven, manchmal kontroversen aber immer erhellenden Gespräche mit ihnen möchten wir uns als Herausgeber bedanken und wünschen den Lesern nun eine anregende und informative Lektüre.
Linz, Zürich, Frankfurt am Main, im März 2019
Prof. Dr. Teodoro D. Cocca

Armin Lauer

Prof. Dr. Wolfgang J. Reittinger

Herausgeber

Prof. Dr. Teodoro D. Cocca
cocca.jpgProf. Dr. Teodoro D. Cocca ist seit 2006 Professor für Wealth and Asset Management an der Johannes Kepler Universität Linz. Davor war er einige Jahre bei der Citibank sowohl im Investment als auch im Private Banking tätig, forschte an der Stern School of Business in New York und lehrte am Swiss Banking Institute in Zürich.
Er ist Adjunct Professor am renommierten Swiss Finance Institute in Zürich und bei bankstrategischen Fragestellungen beratend für Finanzunternehmen tätig. Sein Forschungsschwerpunkt ist das Kundenverhalten von High Net Worth Individuals (HNWI).
Seit 2011 ist er Mitglied des Verwaltungsrates und Vorsitzender des Strategie- und Digitalisierungsausschusses der VP Bank AG in Vaduz.
Armin Lauer
lauer.jpgArmin Lauer ist Gründer und Managing Director von Grosvenor Madison. Er verfügt über umfangreiche Erfahrung in der internationalen Private-Banking-Branche mit Schwerpunkten in Europa und Asien/Singapur. Er unterstützt Banken und Fintechs bei der Transformation in das neue digitale Zeitalter.
Prof. Dr. Wolfgang J. Reittinger
reittinger.jpgProf. Dr. Wolfgang J. Reittinger ist Programmdirektor und Professor für Private Wealth Management an der Frankfurt School of Finance & Management gemeinnützige GmbH.
Als Professor lehrt er insbesondere im Bereich Private Wealth Management nach seiner fast 30-jährigen Erfahrung in der Praxis. So war er u.a. für die Commerzbank, die UBS Deutschland und die HypoVereinsbank/UniCredit über viele Jahre in leitenden Funktionen im Private Banking/Wealth Management im In- und Ausland tätig.
Außerdem ist er Gründungsmitglied im FPSB Deutschland e.V. und war dort viele Jahre im Vorstand tätig. Auch für den europäischen Finanzplaner-Verband EFPA European Financial Planning Association war er tätig.
Wolfgang J. Reittinger ist auch Dozent für andere Institutionen im In- und Ausland und Autor einer Vielzahl von Publikationen zum Thema Private Banking und Financial Planning.

Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Stefanie Auge-Dickhut
Head CC Ecosystems, Business Engineering Institute St. Gallen, St. Gallen, Schweiz
Andreas Borg
Senior Manager, zeb, Zürich, Schweiz
Frederic Brunier
Digitalisierungsexperte Wealth & Asset Management, Zürich, Schweiz
Prof. Dr. Teodoro D. Cocca
Professor für Wealth and Asset Management, Leiter Abteilung für Asset Management, Institut für betriebliche Finanzwirtschaft, Johannes Kepler Universität Linz, Linz, Österreich
Dr. Sandra Daub
Global Head of Product Management Digital Banking, Crealogix, Zürich, Schweiz (Januar 2017 bis Juni 2018)
Dr. Daniel Diemers
Partner/Head Blockchain EMEA, PwC Strategy&, Zürich, Schweiz
Oliver Fiechter
Entrepreneur, Gründer, ISG Institut, St. Gallen, Schweiz
Dr. Gianpiero Galasso
Head International Private Clients IWM, Credit Suisse AG, Zürich, Schweiz
Christoph Hartgens
Chief Digital Officer (CDO), Bank Julius Baer & Co. Ltd., Zürich, Schweiz
Stephan Isenberg
Mitglied des Vorstands, Bethmann Bank AG, Frankfurt am Main
Norman Karrer
Partner, zeb, Zürich, Schweiz
Prof. Dr. Bernhard Koye
Instituts- und Forschungsleiter, Schweizerisches Institut für Finanzausbildung (SIF), Kalaidos Fachhochschule, Zürich, Schweiz
Dr. Adriano B. Lucatelli
Gründer und CEO, Descartes Finance AG, Zug, Schweiz
Harald Meinl
LLM.oec., Geschäftsführer, baningo GmbH, Wien; Österreich
Dr. Jochen Papenbrock
CEO und Gründer, Firamis GmbH, Frankfurt am Main; Chief Editor, AI in Finance (Frontiers in AI), Lausanne, Schweiz; Vice President, Association of AI in Financial Services, Oberursel
Dr. Daniel Pehle
Senior Partner, SKUBCH&COMPANY Management Consultants, München
Dr. Heinz-Werner Rapp
Vorstand, FERI AG, Bad Homburg
Yannick Alexandre Uldry
Managing Partner, Scale-Network GmbH, Bremgarten bei Bern, Schweiz
Dr. Oliver Vins
Vorstand, Vaamo Finanz AG, Frankfurt am Main
Manuel Zolghadar
Head Business Management & Development IPC, Credit Suisse AG, Zürich, Schweiz

Digitalisierung im Private Banking und Wealth Management – Chancen und Herausforderungen

Teodoro D. Cocca
 
1  
Einleitung
2  
Herausforderungen
2.1  
Alles Hype?
2.2  
Kunden nicht vergessen
2.3  
Bedeutung richtig einschätzen
2.4  
Neue Konkurrenz begeistert Kunden
2.5  
Kosten und Investitionen des Multi-Channelings
2.6  
Kannibalisierung
3  
Chancen
3.1  
Bedürfnisbefriedigung und Kundenerlebnis
3.1.1  
Weiterentwicklung der Bedürfnisse
3.1.2  
Kunden-Empowerment
3.2  
Kundenbindung
3.2.1  
Ökosystem
3.2.2  
Neue Werthaltungen
3.3  
Effizienz erhöhen
3.3.1  
Industrialisierung
3.3.2  
Kunde-Berater-Matching
3.3.3  
Onboarding
3.3.4  
Holistic Wealth Management
3.4  
Wachstumschancen
3.5  
Fintechs der zweiten Generation
4  
Fazit
Literatur

1  Einleitung

Differenzierte Perspektive
Die technologische Entwicklung fordert das Bankgeschäft schon von jeher heraus, fördert es aber auch gleichzeitig in hohem Maße. Wie für jede Branche bietet demnach auch die aktuelle technologische Entwicklungswelle aus unternehmerischer Sicht sowohl Chancen wie auch Herausforderungen. Die dabei nicht selten formulierte Arbeitshypothese lässt sich am besten mit der prophetischen Wendung „die Digitalisierung wird das Bankgeschäft grundlegend verändern“ auf den Punkt bringen.
Doch was auf den ersten Blick als revolutionär zu beurteilen ist, hält einer vertieften Analyse nicht immer stand. Das Narrativ einer Technologie, welche in der Lage ist, die Grundlagen des Bankgeschäftes zu verändern, mag geeignet erscheinen, auf- und wachzurütteln, zementierte Gedankenmuster herauszufordern oder neue Perspektiven einzunehmen. Sie vernachlässigt aber, dass der objektive Blick in die Vergangenheit genauso ein Narrativ von völlig überschätztem technologischen Potenzial und gescheiterten Investitionen in vermeintliche Technologierevolutionen ergeben könnte.
Die Wahrheit liegt, wie so häufig, irgendwo in der Mitte dieser Erfahrungen und eine differenzierte Betrachtung möglicher Entwicklungswege erscheint die intellektuell ehrlichste Vorgehensweise. Deshalb hat das Herausgeberteam bei der inhaltlichen Konzipierung dieses Buches besonderen Wert darauf gelegt, einen möglichst breiten Blick auf denkbare Zukunftsszenarien zu ermöglichen.
Im Unterschied zu manch anderer zurzeit auf den Markt kommenden Publikation will dieses Buch keine einseitig triviale „Story“ der Revolution aller Revolutionen nähren. Stattdessen wird die zukünftige Richtung des Entwicklungspfades offengelassen und auch denjenigen Stimmen gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, die eine durchaus kritischere Meinung zum Bild einer rein technologiegetriebenen Zukunftsvision nicht verbergen wollen.
Zu dieser differenzierten Betrachtung gehört es auch, Banken bzw. Finanzdienstleister nicht als eine homogene Branche zu sehen. Die Finanzdienstleistungswelt weist heute noch mehr als vielleicht in der Vergangenheit eine enorme Vielfalt an Geschäftsmodellen mit unterschiedlichen Zielkunden, eingebettet in ganz unterschiedlichen Systemarchitekturen, auf. Dieses Buch fokussiert sich im Folgenden auf das Private Banking, dem Geschäft also, welches sich der Betreuung und Bedienung von vermögenden Privatkunden widmet. Dieser Ausrichtung der vorliegenden Publikationen liegt der offenkundige Gedanke zugrunde, dass sich die technologischen Entwicklungen vielleicht in ähnlicher Weise wie im Retail- oder Affluent-Banking auswirken, aber zweifelsohne auch segmentspezifische Charakteristika zu berücksichtigen sind.
Im Sinne einer solchen Differenzierung ist auch der Fokus dieser Publikation auf den deutschsprachigen Raum zu sehen. Gewachsene Marktstrukturen, kulturelle Prägungen, rechtliche und steuerliche Rahmenbedingungen sowie länderspezifische Kundenpräferenzen spielen gerade im Finanzbereich eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Die vielen anglo-amerikanisch geprägten Tech-Publikationen erscheinen manchmal den faktischen Realitäten, in denen sich Kundenberater im deutschsprachigen Raum bewegen, ziemlich fern.
Dem Einwand, dass auch der deutschsprachige Raum nicht als homogen zu betrachten ist, wäre zuzustimmen. Deutschland, Österreich, die Schweiz und Liechtenstein haben auch ihre Eigenarten, dennoch erscheint ein gewisser Grad an Homogenität der DACH(L)-Region gegenüber einer Diskussion der gleichen Thematik auf den Finanzplätzen von Singapur, Dubai oder Miami gegeben. Nicht zu vernachlässigen ist dennoch, dass manche der genannten deutschsprachigen Finanzplätze eine breite internationale Kundschaft aufweisen und deshalb nicht nur lokale Bedürfnisse zu berücksichtigen sind.
Kann man überhaupt noch die Publikationsform des Buches wählen, um sich mit einer so dynamischen Thematik zu beschäftigen, bei der sich die Entwicklungen ständig zu überstürzen scheinen? Die Antwort liegt auf der Hand: Ja, man soll es geradezu. Es ist die bewusste Gegenform zum Schnelldurchlauf eines Elevator Pitch, bei der es darum geht, bewusst zu reduzieren und zu verkürzen. Manche der dabei höchst überzeugend vorgetragenen Geschäftsideen wären beim Zwang, diese auf 20 Seiten zu beschreiben, einer ernüchternden Belanglosigkeit gewichen. Fahren Sie, geneigter Leser, also nicht Fahrstuhl beim Lesen dieses Buches, sondern erklimmen Sie geistige Höhen durch Tiefgang, das geht auch sitzend oder gar liegend.
In welcher Weise das Private Banking und das Wealth Management von den aktuell beobachtbaren IT-getriebenen Veränderungen betroffen sind und welche Implikationen sich daraus für etablierte Anbieter ergeben, steht thematisch im Mittelpunkt. Den sich wandelnden Marktgegebenheiten steht die Herausforderung gegenüber, das Geschäftsmodell neu zu justieren oder gar tiefgreifendere Modellveränderungen vorzunehmen; zugleich kommen neue, genuin digitale Anbieter auf den Markt und versuchen ihrerseits, Teile der Wertschöpfungskette oder etablierte Interaktionsmuster zu verändern.
Das Buch beleuchtet diesen Wandel, indem es ausgehend von den sich verändernden Kundenbedürfnissen und -anforderungen die Lösungen und Ansätze von etablierten Anbietern auf die Herausforderungen der Digitalisierung im Private Banking und Wealth Management darstellt. Zudem stellen Fintech-Anbieter ihre Ansätze, Produkte und Dienstleistungen vor. Damit gelingt es, einen breiten Überblick und gleichzeitig im Einzelnen eine vertiefte Diskussion der Implikationen der technologischen Entwicklung zu erreichen.
Bedeutung der Technologie im Private Banking
Das gängige Selbstverständnis der Branche lässt sich mit der Aussage „Private Banking is a people‘s business“ auf den Punkt bringen. Fällt dieser Satz im Zusammenhang mit der Digitalisierung, will damit zum Ausdruck gebracht werden, dass der Kern des Geschäftsmodells des Private Bankings die persönliche Beziehung zum Kunden ist und deshalb Technologie niemals diese zentrale Bedeutung haben kann und wird wie vielleicht in anderen Bankbereichen oder sogar in der Konsumgüterindustrie.
Nun mag diese Einschätzung durchaus eine Berechtigung haben, aber sie birgt die Gefahr des pauschalen Totschlagargumentes und verhindert u.U. a priori die wichtige Auseinandersetzung mit technologischen Innovationen. Lässt man sich auf die These ein, dass Private Banking ein auf persönliche Beziehung basierendes Geschäft ist und verbindet es mit dem Kern der Digitalisierung, ist die These schneller widerlegt als man glaubt. Sie dreht sich geradezu ins Gegenteil: Soziale Medien als Beispiel einer technologischen Innovation weisen ja buchstäblich daraufhin, dass persönliche Beziehungen sehr wohl digitalisierbar sind.
Vor lauter Technologiewahn kann der Aspekt untergehen, dass Technologie nur ein Faktor ist, welcher Veränderung bewirkt und/oder fördert. Große Veränderungen von Verhaltensmustern lassen sich bei näherer Betrachtung auf viele verschiedene Einflussfaktoren zurückführen, welche schlussendlich in Kombination die Veränderungskräfte einer Branche ausmachen. Das Augenmerk ist nicht nur daraufhin zu richten, ob und welche technologische Neuerung sich durchsetzt, sondern welche anderen Entwicklungen die Durchsetzung einer Technologie begünstigen (oder hemmen). Es ist häufig die richtige Konstellation aus einer neuen Technologie in Verbindung mit einer geänderten Kundenpräferenz, welche den perfekten Nährboden für tatsächliche Veränderung bildet. Der „Zeitgeist“ kann also reif sein für eine technologische Innovation, oder eine Innovation ist den aktuellen Kundenpräferenzen voraus und setzt sich nicht durch.
Zum Begriff „Private Banking“
Dieses Buch verwendet den Begriff „Private Banking“ bereits im Titel, weshalb sich eine Begriffsabgrenzung aufdrängt. Er bezieht sich auf die klassische Segmentierung der Privatkunden und beschreibt die vermögende Kundschaft einer Bank, womit das Retail-Kundensegment ausgeschlossen wird.
Als vermögende Kunden und deren segmentspezifische Bedürfnisse werden Kunden mit einem Finanzvermögen von mindestens 500.000 EUR herangezogen, wobei damit auch eine Unterscheidung zwischen Affluent, High-Net-Worth-Individual (HNWI) und Ultra-High-Net-Worth-Individual (UHNWI) ermöglicht wird.
Kerninhalt des Private Bankings ist der klassische Beratungsprozess,[1] welcher von vermögenden Kunden in Anspruch genommen wird und vier Phasen umfasst:
  • In einer ersten Phase erfolgt eine umfassende Analyse der Anlagebedürfnisse und -ziele des Kunden. Hierbei wird neben anderen Aspekten insbesondere das Risikoprofil erfasst, welches auch hohe regulatorische Bedeutung hat.

  • In der Folge wird auf der Grundlage des erstellten Anlage- und Risikoprofils eine Anlagestrategie definiert, welche v.a. die strategische Asset-Allokation in den plain-vanilla-Anlageklassen (Cash, Aktien, Bonds) bzw. den relevanten Währungen festlegt.

  • In der dritten Phase erfolgt die Umsetzung der festgelegten Strategie durch geeignete Produkte.

  • Eine kontinuierliche Überwachung und ggf. Anpassung des Portfolios stellt die vierte idealtypische Phase dar (Rebalancing).

Es ist heutzutage State of the Art, dass dieser „strukturierte Beratungsprozess“[2] nach innen in unterschiedlichem Maße digitalisiert ist, nach außen aber kaum. Der Berater verfügt über hausinterne IT-Banksysteme, welche auf der Grundlage von Kundendaten (Anlage- und Risikoprofil) einen Anlagevorschlag, in dem die aktuelle strategische und taktische Anlagemeinung der Bank zum Ausdruck kommt, vollautomatisch generiert. Dieser Anlagevorschlag wird in der Folge in einem persönlichen Gespräch diskutiert und ggf. angepasst.
Es ist inzwischen durchaus üblich, dass dabei der Kundenberater mittels Simulationssoftware dem Kunden zeigen kann, wie sich Veränderungen seines Portfolios in einem Backtesting auf die Rendite- und Risikocharakteristika seines Portfolios auswirken. Diese Architektur erlaubt eine starke Standardisierung nach innen mit einem durch den menschlichen Kontakt erzeugten hohen Maß an wahrgenommener Individualisierung nach außen.[3]
Im Wesentlichen führt das bankinterne System bei der Erstellung eines Anlagevorschlages eine Form von Portfolio-Optimierung durch, welche mit dem CRM-System (Customer-Relationship-Management (Kundendaten)) und der Produktdatenbank verknüpft wird. Typischerweise stellt die Bank zudem in der Folge regelmäßig Informationen über Kapitalmarktentwicklungen zur Verfügung (von der bankeigenen Research-Abteilung oder durch Dritte) und schlägt bei Marktentwicklungen Umschichtungen im Portfolio vor (aus dem bankeigenen Portfolio-Management).
Auch hier geht der Trend in die Richtung, dass Switching- oder Wiederanlagevorschläge zunehmend direkt vom Bankensystem für jedes einzelne Portfolio auf dem IT-System angezeigt und diese dann vom Kundenberater persönlich an den Kunden kommuniziert werden. Es wäre allerdings eine verkürzte Sichtweise, im Private Banking oder Wealth Management lediglich die Anlage- und Vermögensverwaltung als relevante Dienstleistung zu betrachten. Es gibt weitere Dienstleistungen, welche im Bereich von HNWI und UHNWI bedeutungsvoll sind: diskretionäre Vermögensverwaltung, Financial Planning, komplexe Vermögensstrukturierung, Estate Planning, Retirement Planning, Tax Planning etc.[4]
Innerhalb dieser Dienstleistungen erfolgt die Beratung in einem sehr viel komplexeren Kontext, der von der Kenntnis rechtlicher und steuerlicher Rahmenbedingungen in der für den Kunden relevanten Jurisdiktion abhängt und auch besonderes Know-how für grenzüberschreitende Regulierungen verlangt. Zudem vermischen sich die angebotenen Dienstleistungen im Wealth Management bei diesen Kundensegmenten mit Dienstleistungen aus anderen Bankenfelder (Investment Banking, Commercial Banking, Institutional Asset Management).
Im Gegensatz zu einer reinen Markowitz-Portfolio-Optimierung, welche vergleichsweise einfach durch Algorithmen beschrieben werden kann, stellen diese Beratungsinhalte hohe Anforderungen an die Fähigkeit, Wissen zu vernetzen, und sind in Kundensituationen mit hoher Spezifizität anzuwenden.
Diese komplexen Formen der Beratungsdienstleistungen werden heute praktisch ausschließlich im persönlichen Beratungsgespräch erbracht und auch aufgrund des hohen individuellen Aufwandes, welcher beim Berater entsteht, separat und mit gesonderten Preismodellen abgerechnet. Die Beratung ist gerade in diesen komplexen Feldern durch das hochspezifische Know-how des Beraters (oder mehrerer Berater und Experten) charakterisiert und durch seine intellektuelle Fähigkeit, Information, Wissen und Erfahrung zu verbinden, gekennzeichnet.
Für den zentralen Begriff der Beratung gibt es je nach Beratungsverständnis und Beratungsphilosophie zunächst eine breite Vielfalt von einander ähnlichen, aber auch durchaus abweichenden Definitionen. Eine rein juristische Begriffsdefinition wie etwa in den MiFID-Bestimmungen (Markets in Financial Instruments Directive) greift auf jeden Fall zu kurz. Um die tatsächliche Natur des Beratungsgeschäftes für Vermögende zu erfassen, müssen psychologische und soziologische Aspekte einfließen. Und v.a. gilt es, den Kontext, in dem Beratung zu erfolgen hat, mit zu berücksichtigen:
  • Das Finanzgeschehen ist komplexer und unvorhersehbarer geworden.

  • Entscheidungen müssen häufig trotz fehlender Entscheidungsgrundlagen getroffen werden.

  • Beratung erfordert ebenso fachliches wie kommunikatives und reflexives Wissen.

  • Beratung bedeutet nicht nur Handlungstechniken zu beherrschen, sondern ist eine immer wieder kontextuell herzustellende Mischung aus Handlungs- und Reflexionskompetenz.

  • Sichtweisen anderer (vom Marktkonsensus über Rechtsentwicklungen und Steuergesetzgebung) gilt es zu antizipieren und zu integrieren.

All das sind Bestandteile eines umfassenden Verständnisses von Anlageberatung. Anlageberatung ist somit nicht nur eine simple Problemlösungstechnik, die nur kurzfristig befähigt, mit einer Fragestellung oder einem Problem erfolgreich umzugehen, sondern die dazu beiträgt, Veränderungen und dynamische Ergebnisse zu erzeugen. Diese Beratungsperspektive ist somit viel weiter gefasst.
In der klassischen Beratungsdefinition kommt den vielfältigen psychosozialen Aspekten zu wenig Bedeutung zu. Es erscheint aber wichtig, diese Mehrdimensionalität des Beratungsbegriffes zu erfassen. Diesem Anspruch an guter Beratung hat sich jede Bank zu stellen, ob sie nun den technologischen Innovationen mehr Bedeutung geben möchte oder doch lieber beim klassischeren Modell einer (menschlichen) Berater-Kunden-Beziehung bleiben möchte, mit allen Zwischentönen, die auch noch denkbar sind.
Als Schlussfolgerung dieser Überlegungen lässt sich eine breite Vielfalt der angebotenen Beratungsdienstleistungen im Wealth Management erkennen. In diesem Sinne kann auch der Begriff „Wealth Management“ als Fokus dieses Buches definiert werden. Dem Begriff „Private Banking“ liegt somit mehr eine institutionelle Sichtweise zugrunde, während „Wealth Management“ eine funktionelle Perspektive zugrunde liegt. Beide Sichtweisen werden in diesem Buch eingenommen.
Zum Begriff „Digitalisierung“
Mit dem Begriff der „Digitalisierung“ werden gemeinhin die technologischen Neuerungen, welche heute durch die Entwicklung der Informationstechnologie in der Bankenwelt zur Anwendung kommen, bezeichnet. Die Digitalisierung im Bankenbereich ist streng genommen kein Phänomen der heutigen Zeit, sondern stellt eine Entwicklung dar, welche bereits seit Jahrzehnten im Banking im Gang ist.
Eine erste Welle der Digitalisierung ist historisch mit der Entwicklung des Internets am Ende des letzten Jahrtausends in Verbindung zu bringen. Dabei wurde es durch das Internet erstmals für Konsumenten möglich, sich von Zuhause aus auf elektronischem Weg mit Unternehmungen zu vernetzen (und umgekehrt). Das damals geborene Narrativ der Bankenbranche als Analogie zur ausgestorbenen Rasse des Dinosauriers lässt sich heute rund 20 Jahre später wiederfinden.
Die aktuelle zweite digitale Welle wurde mit der Verbreitung Sozialer Medien, welche schon durch die Begriffswahl andeuten, dass sich mehr verändert als eine reine technologische Konnektivität, zu einem neuen Medium. Was man schon vor rund 20 Jahren in Aussicht stellte, dass sich der Mensch für alle Belange des Alltags des Internets bedienen würde und sich dadurch gesellschaftliche und soziale Veränderungen ergeben würden, hat länger gedauert als man damals annahm, dennoch ist es nun eingetroffen. Prägend für die aktuelle Welle sind Angebote wie (aber nicht ausschließlich) diejenigen von Facebook, Instagram oder WhatsApp, welche eine Selbstverständlichkeit einer allgegenwärtigen digitalen Interkonnektion im digitalen Raum gebracht haben, die vor 20 Jahren in dieser Form selbst von den visionärsten Experten nicht vorausgesehen wurde. Dank den uns heute zur Verfügung stehenden Medien ist es eine Selbstverständlichkeit geworden, persönliche Interaktion über digitale Medien zu führen.
Dies bringt uns zur Thematik des Private Banking. Als Digitalisierung werden die durch technologische Innovation induzierten Veränderungen in der Finanzdienstleistungsbranche verstanden. Für den Begriff „Digitalisierung“ existiert keine eindeutige Definition. Er kann, abhängig vom jeweiligen Kontext, mehrere Bedeutungen annehmen. Im ursprünglichen Sinn meint Digitalisierung das Umwandeln von analogen Informationen in digitale Formate und stellt einen eigentlichen Megatrend dar.[5]
In einer erweiterten Definition bezeichnet der Begriff die durch das Internet geschaffene Möglichkeit der Allzeitverfügbarkeit und Zugänglichkeit von Daten (Wegfallen zeitlicher und örtlicher Beschränkungen bei Abrufung, Weiterverarbeitung und Speicherung von Daten). In Folge der Weiterentwicklung des Internets und der digitalen Komponenten kam es zu Trends wie Big Data (Sammeln und systematisches Auswerten großer Datenmengen), Cloud Computing (Speicherung und Bearbeitung von Daten auf externen Servern), dem zunehmenden Einsatz mobiler Endgeräte oder auch der Entwicklung und Anwendung selbststeuernder/intelligenter Prozesse.
Diese technologischen Veränderungen können zu weitreichenden Fragen hinsichtlich des eigenen Geschäftsmodells eines Unternehmens führen und einen fundamentalen Veränderungsbedarf implizieren.[6] Es ist aber v.a. die Interaktion zwischen verschiedenen langfristigen Trends, welche die Herausforderung für Unternehmen potenziert.[7]
Die Beschreibung solcher langfristigen Trends erfolgt unter dem Stichwort der sogenannten Megatrends. Megatrends sind Tiefenströmungen des Wandels, welche grundlegende Veränderungen der globalen Wirtschaft über mehrere Jahrzehnte prägen.[8] Diese Megatrends beschreiben das sich verändernde Umfeld, in dem sich unternehmerisches Handeln abspielt. Daraus leitet sich ab, dass die Bedürfnisse der Zielkunden von Unternehmungen auf vielfältige Art und Weise durch diese Trendentwicklungen beeinflusst und verändert werden und es ergeben sich für Unternehmen sowohl Chancen wie auch Risiken.
In Anbetracht immer schneller aufkommender neuer Technologien und schwindender traditioneller Markteintrittsbarrieren ist die hohe Geschwindigkeit bei der Implementierung von Innovationen besonders ausschlaggebend für den nachhaltigen Erfolg von Unternehmen.[9] Zu den Zukunftstechnologien, denen in den kommenden Jahren die größte Bedeutung beigemessen wird, zählen: Spracherkennung/Befehlssteuerung, mobiles Bezahlen, Datenbrillen wie Google Glass, Wearables/intelligente Kleidung, Erweiterte Realität (Augmented Reality) etc.[10]
In engem Bezug zum Private Banking lassen sich zusätzlich folgende technologische Neuerungen stellen:
  1. Künstliche Intelligenz und lernende Maschinen, welche z.B. prognosebasierte Portfolio-Management-Ansätze unterstützen können,

  2. Peer-to-Peer-Beziehungen, welche das Potenzial haben, die Intermediärsfunktion der Bank in Frage zu stellen,

  3. Big Data, welches völlig neue Möglichkeiten eröffnen könnte hinsichtlich eines besseren Verständnisses von Kundenverhalten und der Prognose von Kundenverhalten.

Die nun anschließende Diskussion von Herausforderungen und Chancen beinhaltet die Problematik, dass in einer differenzierten Betrachtung häufig derselbe Sachverhalt sowohl Chance als auch Herausforderung sein kann. Hier erfolgt dennoch der Versuch einer Zuordnung.

2  Herausforderungen

2.1  Alles Hype?

Was spricht dafür, dass sich dieses Mal die Zukunftsvisionen realisieren werden? Viele Aspekte deuten darauf hin, dass die in den 1990er Jahren erwarteten Veränderungen – mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung – nun eintreten. Während die Entwicklung des Internets in den 1990er Jahren eine technologische Neuerung darstellte, mit allen einer solchen Innovation innewohnenden typischen Kinderkrankheiten (fehlende Hochleistungs- und Telekommunikationsinfrastruktur, Sicherheitsmängel, langsame anfängliche Adaptionsrate, fehlende technische Reife etc.), hat sich die Technologie weiterentwickelt und die Konsumenten wenden diese Technologien mit einer zunehmenden Selbstverständlichkeit an.
Dies führt zu einer Änderung des sozialen Verhaltens im Zusammenhang mit der Verwendung und Bedeutung der Technologie im Alltag und greift deshalb viel tiefer in die gesellschaftlichen Strukturen ein.[11] Neu ist auch, dass ganze Generationen in einer Welt aufwachsen (Digital Natives), die von Anbeginn an durch die neuen technischen und sozialen Rahmenbedingungen geprägt ist und deshalb auch als „technologische Normalität“ und nicht als revolutionäre Innovation wahrgenommen wird. Gerade in der Normalität der Veränderung liegt somit das Revolutionspotenzial.
Substantielle Vermögenssummen werden in den kommenden Jahren an die nächste Generation vererbt werden. Es stellt sich die Frage, inwieweit die betreuenden Finanzdienstleister auf die anstehende Vererbungswelle vorbereitet sind. Für das Private Banking stellt dieser Vermögenstransfer eine enorme strategische wie auch operative Herausforderung dar, da das Vermögensverwaltungsgeschäft aufgrund der Altersstruktur der bestehenden Kunden besonders stark von dieser Entwicklung betroffen ist.
Wenn man berücksichtigt, dass der Kundenberater oftmals keine Beziehung zur Erbengeneration hat, lässt sich die geschäftspolitische Gefahr, die von dieser Entwicklung ausgeht, erahnen.[12] Die Erbengeneration wird aller Wahrscheinlichkeit nach veränderte bankspezifische Nachfrage- und Erwartungsmuster aufweisen. Die technologische Entwicklung hat in den letzten 20 Jahren die Art und Weise, wie Menschen sich informieren, wie sie kommunizieren oder Produkte und Dienstleistungen nachfragen, dramatisch verändert.
Ihren Ursprung nahm diese Entwicklung Mitte der 1990er Jahre, als die Fortschritte der modernen Telekommunikationstechnologien und das sich schnell ausbreitende Internet die Erwartung einer Revolution in der Finanzdienstleistungsbranche heraufbeschworen. Ihren Kulminationspunkt fand dieser disruptive Zukunftsglaube in der berühmten – Bill Gates zugeschriebenen – Aussage „Banking is essential, banks are not“.
Die in der Folge enttäuschten Erwartungen des Internetbooms stützen die These, dass das Potenzial technischer Innovationen kurzfristig überbewertet wurde. Die Finanzbranche erfuhr nur punktuelle Veränderungen und die etablierten Banken haben es verstanden, die neue Technologie erfolgreich in die eigenen Geschäftsmodelle zu integrieren. Langfristig wird das Potenzial technologischer (disruptiver) Innovationen hingegen eher unterschätzt. Es ist die schleichende Art der Veränderung, die deren Tiefenwirkung zeigt. Zurzeit findet ein Innovationssprung statt, dem wiederum viel Revolutionspotenzial beigemessen wird.
Ebenfalls als Unterschied zur Internet-Euphorie vor 20 Jahren kann die „Armee der Fintechs“ bezeichnet werden, welche zurzeit mit neuen Angeboten in den Markt drängt. In dieser Vielfalt gab es dieses Phänomen damals nicht. Es gab zwar eine Menge von Internet-Start-ups, welche sich auf den Weg machten, mit neuen Geschäftsmodellen Fuß zu fassen.
Dabei stand aber die Finanzbranche nicht im Mittelpunkt. Das einzige damals entstandene Geschäftsmodell im näheren Umkreise des Private Banking, das es heute noch gibt, sind die Online-Broker. Viele andere Ideen und Visionen wurden auf Konferenzen intensiv diskutiert und in Publikationen ausgearbeitet, aber zur konkreten Umsetzung gelangten diese nie.
Dies ist heute strukturell anders. Die mit dem Begriff „Fintech“ bezeichneten Unternehmen können als institutionalisierte Angriffstruppen bezeichnet werden, welche viel konkreter, organisierter und in vielfältigen Teilbereichen Innovation nicht nur propagieren, sondern eben eine konkrete Gestalt geben.
Für das Private Banking bedeutet der absehbare Generationenwechsel eine prinzipielle Herausforderung in zweifacher Hinsicht: Erstens führt die Übertragung von Vermögen auf die Erbengeneration zu einer Gefährdung der bestehenden Kundenbeziehung, da die Gefahr eines Bankenwechsels durch die Erben besteht. Zweitens verändern sich im Laufe der Zeit Bedürfnisse und Verhaltensmuster von Kunden, so dass Anbieter im Private Banking riskieren, die neuen Kundengenerationen nicht adäquat anzusprechen und zu bedienen. Einzeln wären diese beiden Aspekte schon Grund genug für eine grundlegende strategische Auseinandersetzung mit diesen Entwicklungen, treten diese allerdings, wie zu erwarten, zeitlich parallel auf, erhöht sich das Potenzial für strukturelle Veränderungen in der Private-Banking-Branche stark.[13]
Stehen wir vor einer technologischen Revolution oder Evolution? Auch wenn viele Beobachter das nahende Ende der Bankenwelt wie wir sie heute kennen prophezeien, ist zunächst vorsichtig mit der vorschnellen Annahme umzugehen, jede technologische Innovation werde die Bankenwelt völlig verändern. Beispielhaft kann das Schlagwort „Second Life“ angesprochen werden, welches vor nicht allzu langer Zeit als DIE Innovation im Banking betrachtet wurde. Viele werden sich wahrscheinlich nicht mehr daran erinnern – eben!
Diese Projektionen vernachlässigen wichtige Charakteristika der Bankenwelt:
  1. Machtinteressen: Etablierte Marktteilnehmer haben handfeste finanzielle Interessen an bestehenden Strukturen, weshalb potenziell schädigende Änderungen mit viel Einsatz bekämpft werden können. Etablierte Marktteilnehmer haben meist auch „tiefe Taschen“, um mit viel Kapital emporstrebende Konkurrenten aus dem einen Markt zu drängen.

  2. Eintrittshürden: Eine technologische Innovation muss sich nicht zwingend durchsetzen, selbst wenn diese gemäß gängigen Leistungskriterien weit überlegener ist als bestehende Lösungen. Wesentliche Eintrittshürden für neuartige Angebote stellen die rechtlichen Rahmenbedingungen und insbesondere die Aufsichtsbehörden dar. Weiters ist die Trägheit im Verhalten von Bankkunden zu unterstreichen. Auch wenn gerne von der abnehmenden Kundenloyalität gesprochen wird, zeigt sich, dass Bankenwechsel in Wahrheit weiterhin sehr rar sind.

  3. Komplexität: Die Finanzwelt weist eine bedeutende und zunehmende Komplexität im Zusammenspiel der regulatorischen Rahmenbedingungen, der Finanzinfrastruktur, der Produktarchitekturen und den Kundenpräferenzen auf. Dies stellt gleichzeitig eine Stärke im Sinne einer Eintrittshürde für neue Anbieter und neuartigen Lösungen dar, anderseits bietet diese Komplexität auch viel Potenzial für Verbesserungen in Form von Effizienzgewinnen und Komplexitätsreduktion.

2.2  Kunden nicht vergessen

Nicht alles, was technologisch möglich ist, wird der Private-Banking-Kunde auch anwenden. Schlussendlich werden die Kunden darüber befinden, welche technologische Innovation sich durchsetzt. Dies stellt heute eine der wichtigsten strategischen Unbekannten dar. Die Erhöhung der „Convenience“ für den Kunden stellt einen der Hauptansatzpunkte technologischer Neuerungen dar, dennoch muss der Kunde auch in seiner eigenen Wahrnehmung einen Mehrnutzen erhalten. Diese Sphäre beinhaltet sowohl im positiven wie negativen Falle Wahrnehmungsverzerrungen, welchen auch immer eine irrationale Komponente beiwohnt.
Diese in gewünschter Richtung zu beeinflussen, wird eine Herausforderung sein, wenn es darum gehen wird, nicht die – vielleicht kleine – Gruppe der technologieaffinen Kunden zu gewinnen, sondern eine erhöhte Penetration bei breiteren Kundenschichten zu erreichen. Dabei ist das Szenario denkbar, dass Kunden trotz aller vernünftig vorzutragenden Vorteile einer technologischen Lösung sich partout nicht überzeugen lassen diese zu beanspruchen.
Selbstverständlich kann ein Anbieter durch (finanzielle) Anreize diese Entscheidung auch beeinflussen. Der Gefahr der Trägheit des Kundenverhaltens bzw. einer innewohnenden Irrationalität ist aber Rechnung zu tragen. Aufgrund der Neuartigkeit der zurzeit entwickelten Lösungen ist es schwierig, sich analytisch der Beantwortung der Frage zu nähern, inwieweit bestimmte Kundengruppen eine neue Dienstleistung beanspruchen würden.
Eine Kundenbefragung bspw. kann nur jeweils das aktuelle Bild der Kunden wiedergeben und nur potenzielle Nachfragebereitschaft abwägen. Dies kann sich im Zeitablauf selbstverständlich auch schnell ändern. Das gilt auch bei der Befragung junger Kundengenerationen, um das zukünftige Verhalten der Kunden im Private Banking abzuschätzen. Der altersbedingte Konservativismus kann die Technologieaffinität in jungen Jahren überlagern. Auch ist gerade bei der Erhöhung der Adoptionsraten dem Aspekt Rechnung zu tragen, dass nebst dem Technologiewissen auch das Finanzwissen ungleich verteilt ist. Wenn die Eingabe und Bedienung einer App oder einer Software bereits viel Wissen voraussetzt, wird es eine Schwierigkeit sein, diese einer breiten Kundenschicht schmackhaft zu machen.
Kundenpräferenzen sind sehr heterogen und der Begriff des „zukünftigen Kunden“ zutiefst irreführend. Schon heute zeigt sich im Banking wie auch in anderen Konsumgüterindustrien, wie vielfältig das Kundenverhalten eines einzelnen Kunden sein kann und es schwer fällt, in sich homogene Kundenprofile zu bestimmen. Es ist eher davon auszugehen, dass diese Heterogenität sogar zunehmen wird. So können Kunden in einem Bereich zu den Early Adopters gehören und wiederum bei einem anderen Thema die absoluten Traditionalisten bleiben. Hierbei spielt das besondere Gut, bei dem es im Private Banking geht, jedenfalls auch eine besondere Rolle. Geld ist zweifelsohne ein besonderes Gut und damit verbundene Dienstleistungen unterliegen gewiss auch besonderen Gesetzmäßigkeiten, die sich über die Zeit verändern können aber nicht müssen.
Versucht man einmal in alternativen Szenarien zu den heute geläufigen Ansichten zu denken, wäre folgendes vorstellbar:
  • Es könnte auch das Szenario eintreten, dass die technologischen Entwicklungen bei den vermögenden Kunden keine breite Akzeptanz finden und sich die prognostizierten Veränderungsszenarien als falsch erweisen. Die Präferenz- und Verhaltensmuster jüngerer Kundensegmente ähneln stärker als erwartet denen der älteren Kundengeneration, je älter die heute noch jungen Kunden werden. Somit überlagert der altersbedingte Konservativismus die Technologieaffinität in jungen Jahren.

  • Skandale um veruntreute Gelder, Sicherheitslücken und fehlender Schutz der Privatsphäre bei den ersten innovativen Anbietern führen zu einem Vertrauensverlust der vermögenden Kunden in neue technologische Lösungen. Die „Digital Deniers“ – eine Kundengruppe, welche die Integration von Informationstechnologie in Bankgeschäfte weitestgehend ablehnt – bleiben die dominante Kundengruppe.

  • Der Regulator interveniert in der Folge von festgestellten Missständen (vgl. vorhergehender Punkt) massiv und erhöht die Anforderungen an Anbieter im Finanzdienstleistungssektor stark. Dadurch werden Start-ups im Finanzdienstleistungssektor benachteiligt. Die etablierten Anbieter haben darauffolgend keinen Anlass, ihr Geschäftsmodell zu „kannibalisieren“ und integrieren technische Innovationen nur sehr zaghaft. Beratung in der Vermögensverwaltung erfolgt in Zukunft mehrheitlich genauso wie heute vorwiegend beim halbjährlichen Treffen mit dem Berater in den Beratungsräumlichkeiten der Bank.

2.3  Bedeutung richtig einschätzen

Im Dickicht der sich zurzeit täglich überhäufenden Meldungen neuer digitaler Angebote und den unter Abschnitt 2.2 dargestellten kundenspezifischen Problemstellungen im Private Banking leitet sich die wohl diffizilste strategische Frage ab, welche das Top-Management und Verwaltungs- bzw. Aufsichtsräte beantworten müssen: Was bedeutet diese pulsierende Innovationwelle für das eigene Unternehmen? Was ist relevant für die eigene Unternehmung und was kann als unbedeutend abgetan werden?
Es gibt meiner Ansicht verschiedene Wege sich der Antwort zu nähern:
  1. Immersion in die Fintech-Welt: Eine kontinuierliche, bewusste und vertiefte Auseinandersetzung mit innovativen Angeboten führt zu einem Lerneffekt, der die Grundlage für alle weiteren Entscheidungsschritte bildet. Nur schon das richtige Verstehen, was den neuen Geschäftsmodellen zugrunde liegt, ist eine nicht zu unterschätzende Aufgabe. Die schon zitierten Zwei-Minuten-Pitches genügen dabei bei weitem nicht. Die Brillanz einer Geschäftsidee oder deren Trivialität eröffnet sich einem in meiner eigenen Erfahrung erst nach einiger Zeit (des Nachdenkens).

  2. Kritischen Blick wahren: Wie bereits Abschnitt 2.1 darlegt, besteht in der aktuellen Phase durchaus die Gefahr, sich weitgehend unbegründet von der Zukunftseuphorie anstecken zu lassen. Meiner Erfahrung nach kann ein einfacher „Fakten-Check“ helfen, den kritischen Blick zu wahren. Ein Geschäftsmodell oder ein Angebot, welches nur Vorteile und unlimitierte Wachstumsmöglichkeiten zu haben scheint, ist wenig wahrscheinlich. Es wäre in einem solchen Fall eher der Frage nachzugehen, warum man die Schwächen einer Lösung noch nicht erkannt hat. Nur eine möglichst ehrliche und kritische Auseinandersetzung mit einer neuen Geschäftsidee ist schlussendlich zielführend.

  3. Offenheit wahren: Als Gegenpunkt zu den vorangehenden Ausführungen gilt es nicht nur die (destruktive) Perspektive einzunehmen, warum etwas „nicht gelingen“ kann. Innovationen haben auch immer sehr viel mit Veränderungsprozessen im Denken der handelnden Akteure zu tun, weshalb trotz vielleicht durchaus begründeter Vorbehalte auch die vielfältigen Möglichkeiten einer Innovation gebührend durchdacht werden sollten. Tritt eine der beiden Sichtweisen (Kritik und Offenheit) in fast puristischer Form auf, kann man sicher sein, dass man im Sinne einer realistischen Einschätzung auf dem falschen Weg ist.

  4. Auf Kern ausrichten: Für etablierte Anbieter kann als Wegweiser durch das Dickicht an Möglichkeiten der unternehmerische Kern des bestehenden Geschäftsmodells herangezogen werden. Die Logik der Priorisierung möglicher Innovationsprojekte kann sich an den Ertragsbringern des eigenen Unternehmens orientieren. Welche Innovation könnte den größten Einfluss auf z.B. die zwei Hauptertragsbringer eines Unternehmens haben?

    Damit ist eine erste Vorselektion erfolgt und die Grundrichtung für das weitere Vorgehen vorgegeben. Es bringt z.B. meines Erachtens wenig, sich über neue Formen des Zahlungsverkehrs Gedanken zu machen, wenn man als Unternehmen vorwiegend Geld mit der Anlageberatung privater Kunden verdient.

  5. Strategiearbeit forcieren: Digitalisierung ist ein Thema, das für die oberste Führungsetage einer Bank von höchster Bedeutung ist. Wenn Top-Management und Aufsichts- bzw. Verwaltungsrat nicht ein gemeinsames Verständnis der digitalen Strategie haben, dann ist die Agendasetzung dieser Gremien fehlgeleitet. Eine der größten organisatorischen Herausforderungen besteht darin, diesem strategisch immens wichtigen Thema die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen, in einem unternehmerischen Alltag, in dem viele dringende tagesaktuelle Themen die Agenda des Top-Managements bestimmen.

    Eine denkbare Form der Institutionalisierung der Strategiearbeit in diesem Bereich kann die Etablierung eines Strategie- und Digitalisierungsausschusses sein, welcher einer kleinen Gruppe von Entscheidungsträgern ermöglicht, sich intensiver mit der komplexen Materie auseinanderzusetzen und Entscheidungen derart vorzubereiten. Gerade wenn man zur Einsicht gelangt, dass Technologie im Finanzdienstleistungssektor ein zunehmend permanenter Faktor in der Strategieentwicklung sein wird, ist die Frage der Institutionalisierung eine naheliegende.

    Die Thematik bedingt allerdings auch, dass damit beschäftigte Gremien interdisziplinär und unter Hinzunahme von weiteren Führungsebenen besetzt werden. Ein reiner Top-down-Ansatz wäre meines Erachtens genauso wenig zielführend wie ein reiner Bottom-up-Ansatz.

2.4  Neue Konkurrenz begeistert Kunden

Die größte Gefahr liegt meiner Ansicht nach darin, dass bestehende oder potenzielle Kunden schneller als erwartet die neuen technologischen Angebote und Geschäftsmodelle annehmen und den Etablierten keine strategische Reaktionsmöglichkeit bleibt (Jump Adoption). In diesem Fall würde den etablierten Anbietern die Grundlage des eigenen Geschäftsmodells entzogen, indem Kunden verloren gehen und damit die Ertragsgrundlage erodiert oder gar implodiert.
Aber auch eine langsamere Entwicklung könnte strategisch gefährlich sein, da sie zu einem unbemerkten Verlust der Befriedigung von wichtigen Kundenbedürfnissen führt und damit einen latenten Kundenfrust aufbaut. Schaut man als Bank lediglich auf die Ertragsströme der bestehenden Kundschaft, kann man dem Trugschluss erliegen, dass „eh alles gut ist“.