Oliver Everling  Robert Lempka (Hg.)

Finanzdienstleister
der nächsten Generation

 
Digitale Transformation
und neue Dienstleistungen
 
1. Auflage 2020
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ISBN 978-3-95647-176-6 (Print)
ISBN 978-3-95647-178-0 (PDF)
ISBN 978-3-95647-177-3 (ePub)
ISBN 978-3-95647-179-7 (Mobi)
1. Auflage 2020  © Frankfurt School Verlag / efiport GmbH, Adickesallee 32-34, 60322 Frankfurt am Main

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort von Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen
Vorwort
Herausgeber
Autorenverzeichnis
Innovation und Digitalisierung in der Finanzwirtschaft
Christoph Dammermann
Rahmenbedingungen und Herausforderungen
Open Banking als weltweite Revolution
Oliver Dlugosch
Rechtliche Rahmenbedingungen für Anbieter von Digital Finance Services
Thorsten Voß
Gemeinsam die Zukunft meistern – Warum Banken mit Fintechs kooperieren sollten
Markus Rupprecht
Vertrauen als zentraler Erfolgsfaktor (in) der Fintech-Branche
Julia Ptock
Digitalisierung von Geschäftsfeldern
Digitalisierung im Private Banking – großer Hype oder große Ernüchterung?
Martin Deckert/Michael Savenay
Digitalisierung der Mittelstandsfinanzierung – Horizontale Marktplätze als Game Changer
Stephan Heller
Innovative Kommunalfinanzierung durch den Einsatz digitaler Finanzierungsplattformen
Susan Niederhöfer
Masse UND Klasse? Chancen aus der Digitalisierung des Wertpapiergeschäfts
Kris Steinberg
Neue Technologien
AI in der Plattformökonomie des Firmenkundengeschäfts
Nico Peters
Bedeutung neuer Technologien im Finanzsektor – Auswirkungen der Blockchain-Technologie
Robert Bosch/Kai Baumann/Valentin Sigrist/Victor Perales
Bargeld, Bargeldversorgung und Blockchain
Jochen Werne
Emotional Data Intelligence für den Finanzmarkt
Stefan Nann/Heinz Ackermann/Jonas Krauß
Next Generation knowledge automation and intelligence using autonomous economic agents, blockchain and Internet of Things
Mark Skilton
Verfahren, Methoden und Prozesse
Augmented Reality für Geschäftspartnerdaten – Mit Graph Intelligence zu optimalen Analysen, Prozessen und Entscheidungen
Tilo Walter
Credit Scoring 3.0
Tobias N. Ruland
Move – die neue Kryptoprogrammiersprache von Facebook im Kontext von Libra
Thomas Rappold
KYC 4.0 – Wie Unternehmen ihre KYC-Organisation in eine echte Produktionsumgebung verwandeln
Corinna Reibchen
Neue Funktionen, Produkte und Kundennutzen
Alternative Datensets im Asset-Management
Lucas von Reuss
Online-Vermögensverwaltung mit Direktinvestments
Sebastian Hasenack
Kundenzentrische Finanzberatung dank Automatisierung
Ralf Heim/Christian Paulus
Der nachhaltige Kapitalmarkt – Entstehung und Entwicklung neuer Finanzdienstleistungen
Christian Haller
Incorporation of ESG Considerations into Credit Ratings
Carola Schuler
Perspektiven
Futurize Banking – von der Kundenzentrierung zu industrieübergreifenden Ecosystemen
Stefanie Auge-Dickhut/Axel Liebetrau
Strategie und strategisches Management

Geleitwort von Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen

Es ist das Privileg jeder „nächsten“ Generation, eigene Antworten auf die Anforderungen der Zeit zu finden. Das gilt für Menschen, es gilt aber auch für Unternehmen oder Branchen. Wenn sich dieses Buch also den „Finanzdienstleistern der nächsten Generation“ widmet, dann aufbauend auf einer zentralen Erkenntnis: Die Finanzwirtschaft befindet sich in einem fundamentalen Veränderungsprozess. Banken sehen schon jetzt anders aus als vor 30 oder auch nur vor zehn Jahren. Und sie werden schon in den nächsten zehn Jahren noch einmal gänzlich anders aussehen. Die digitale Transformation verkürzt Veränderungszeiträume drastisch – zehn Jahre sind in der digitalen Welt eine halbe Ewigkeit. Für die Gestaltung und Sicherung eines Level Playing Fields bedeutet das neue Fragen, auf die neue Antworten zu geben sind.
Neue Technologien und Anwendungen verändern das „Spiel“ – Künstliche Intelligenz (KI), Big Data, Cloud Computing, Machine Learning, Blockchain und Kryptowährungen sind in dieser Analogie echte Game Changer. Neue Spieler betreten das Spielfeld – agile Fintechs und mächtige Bigtechs, die neue Ideen, Netzwerkeffekte und vielfach auch massive Finanzkraft einbringen. Möglicherweise müssen wir angesichts dieser Veränderungen bestimmte Regulierungsmechanismen ändern, auf jeden Fall benötigen wir aber für alle faire Spielregeln und Freiräume für Innovationen.
Fundamentale Veränderungen sind von ihrem Wesen her unbestimmt: Wie genau die Finanzdienstleister der nächsten Generation(en) aussehen, ist daher nur in Umrissen prognostizierbar. Die aktuellen Anforderungen aber sind klar: Wer in dem dynamischen Marktumfeld bestehen will, muss digital denken, schneller werden und Geschäftsprozesse optimieren. Kunden fragen heute gezielt digitale Produkte nach, die leicht verständlich und vergleichbar sind. Finanzplattformen bieten zunehmend Produkte mehrerer Anbieter an. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Verknüpfung von technologischen Innovationen und Kundenorientierung mit einem ständig passgenauen Produktangebot.
Auch Vernetzung und Kooperation gewinnen angesichts der neuen Herausforderungen an Bedeutung – zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, zwischen der Realwirtschaft und der Finanzwirtschaft, zwischen klassischen Banken und Fintechs und nicht zuletzt zwischen verschiedenen Finanzplätzen in Deutschland und Europa. Finanzplatzinitiativen können dabei einen Beitrag leisten. Auch in Nordrhein-Westfalen, einem für die Realwirtschaft bedeutenden Finanzplatz, vernetzen sich die Akteure zunehmend.
Klar ist ebenfalls: Es werden Finanzdienstleister sein, die die Energiewende und die digitale wie ressourcenschonende Transformation der Wirtschaft finanzieren. Sie sind es, die zusätzliches Kapital für Investitionen, für technologische Erneuerung, für Gründungen und Innovationen mobilisieren und damit einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen dieser großen Aufgaben leisten. Nachhaltigkeit wird dabei auch zum Thema der Finanzwirtschaft selbst: Sustainable Finance umfasst die ökologische wie soziale Dimension, aber auch die wirtschaftliche Nachhaltigkeit, und ist auch ein Faktor der Attraktivität für Fach- und Führungskräfte.
In Nordrhein-Westfalen treffen Unternehmen und Mitarbeiter dabei auf ein dynamisches wie an Erfahrung reiches Umfeld: Gerade Nordrhein-Westfalen bietet viele Beispiele für strukturellen Wandel und auch in Zukunft Investitionsfelder für Finanzdienstleister aller Art.
In Anbetracht der vielen Trends und Szenarien ist das Anliegen, die nächste Generation der Finanzdienstleister zu beschreiben, so ambitioniert wie spannend. Viele der damit zusammenhängenden Fragen sind bereits bekannt – wir sind gespannt auf die Antworten.
Düsseldorf, im Februar 2020                                             Prof. Dr. Andreas Pinkwart

Vorwort

Im Auftrag des Frankfurt School Verlags durften wir als Herausgeber zum dritten Mal namhafte Experten zum Autorenkreis des erfolgreichen Buchs zur gleichnamigen Konferenzserie einladen: „Finanzdienstleister der nächsten Generation“. Ziel des Buches ist die Vorstellung und der Bericht aus Praxiserfahrungen von neuen Geschäftsmodellen, welche die digitale Revolution in der Finanzbranche ermöglicht, und das Aufzeigen von Anpassungsprozessen und Chancen, die Finanzdienstleistern durch das Internet und neue digitale Technologien eröffnet werden.
Indem der Titel auf die Sicht von Investoren bzw. Entscheidern abstellt, soll dem Leser ein Herausgeberwerk geboten werden, das zwar wissenschaftlich fundiert ist, aber eher als praxisorientiertes Kompendium mit konkretem Nutzen für die Betroffenen positioniert ist. Das Buch lässt als Herausgeberwerk die maßgeblichen Akteure, Investoren, Banken und sonstigen Finanzdienstleister, Autoren der Praxis wie auch der Wissenschaft zur Sprache kommen.
Um dem Titel des Buches gerecht zu werden und in jeder Ausgabe tatsächlich Finanzdienstleister der nächsten Generation vorzustellen, sind alle Beiträge in diesem Werk völlig neu und nicht lediglich Updates von Artikeln, die in unseren früheren Büchern bereits erschienen waren. Der damit verbundene erhebliche Mehraufwand für die Herausgeber und für den Verlag wird mit dem nachhaltigen Leserinteresse belohnt.
Die in unserem Buch thematisierten, tiefgreifenden Veränderungen durch die Digitalisierung waren in Branchen wie dem Verlagswesen oder dem Handel schon bei Erscheinen der ersten Ausgabe im Jahr 2013 offenkundig und unstrittig. In der Finanzbranche glaubte man jedoch, noch mehr Zeit zu haben, Entwicklungen erst einmal abzuwarten und Start-ups aus ihren Fehlern lernen zu lassen, um sie später vielleicht zu übernehmen oder in Bank- und Versicherungskonzerne zu integrieren. Daher wurden Anpassungsprozesse an die neuen Marktbedingungen oft nur zögerlich in Gang gebracht. Inzwischen zeigt sich bei einigen etablierten Finanzdienstleistern der verhängnisvolle Fehler, die Dynamik der Veränderungsprozesse unterschätzt zu haben.
Schon damals warnten wir vor der Entwicklung der Aktien von einstigen Flaggschiffen der deutschen Bankwirtschaft zu „Penny-Stocks“, so wörtlich. Kostenexplosion durch Überregulierung der Finanzdienstleistungsaufsicht und Ertragsschwäche durch andauernde Niedrigzinspolitik verstärkten diesen Trend. So lösen neue Finanzdienstleister nicht nur DAX-Unternehmen ab, sondern ehemals renommierten Adressen gelingt es nicht einmal mehr, ihre von langer Hand geplante Digitalisierungsstrategie durch Übernahme erfolgreicher Finanzdienstleister der nächsten Generation umzusetzen.
Dem Frankfurt School Verlag danken wir für den Auftrag, dieses Buch erneut herausgeben zu dürfen. Die Nähe zur Hochschule, zur buchstäblich „nächsten Generation“, sowie zum Finanzplatz Frankfurt am Main und damit zu den Entscheidern der Finanzbranche passen sowohl zu unserem Buchtitel als auch zum Konzept der nun schon seit Jahren erfolgreichen gleichnamigen Konferenzen.
Für die gute Zusammenarbeit danken wir recht freundlich Dr. Thomas Lorenz aus dem Frankfurt School Verlag, wie auch seinem Kollegen, Ulrich Martin, dessen verlegerischem Weitblick wir 2012 den Start des Projekts und die Aufnahme ins Verlagsprogramm zu verdanken haben. Nicht zuletzt gilt unser Dank natürlich unseren Autoren, die trotz der für junge Unternehmen typischen knappen Ressourcen mit erstaunlicher Termintreue ihre fachlichen Beiträge einreichten.
Frankfurt am Main, im Februar 2020




Dr. Oliver Everling
Robert Lempka

Herausgeber

Dr. Oliver Everling
everling.jpgDr. Oliver Everling ist Geschäftsführer der RATING EVIDENCE GmbH in Frankfurt am Main.
Als Gesellschafter, Beirat, Aufsichtsrat, Independent Non-Executive Director nach der EU-Verordnung über Ratingagenturen, Mitglied von Ratingkommissionen, Chairman des ISO-TC Rating Services, Gastprofessor der CUEB in Peking und als Herausgeber von mehr als 50 Büchern war oder ist er mit Ratingfragen befasst.
Nach Promotion am Bankseminar der Universität zu Köln war Oliver Everling Referent des Arbeitskreises Rating der WM Gruppe und ab 1991 Geschäftsführer der Projektgesellschaft Rating mbH sowie von 1993 bis 1998 Abteilungsdirektor und Referatsleiter in der Dresdner Bank.
Robert Lempka
lempka.jpgRobert Lempka ist Berater einer global führenden Private-Equity-Investment-Firma mit Investitionsschwerpunkt Finance. Zuvor machte er sich einen Namen in der Fintech-Szene, als Chief Executive Officer und Co-Gründer eines börsengelisteten Finanztechnologieunternehmens sowie als Co-Gründer und Investmentmanager einer börsennotierten Beteiligungsgesellschaft mit Investitionsschwerpunkt Fintech. Als Business Angel beteiligte er sich außerdem an innovativen Start-ups in der Finanzszene.
Nach seinem BWL-Studium an den Universitäten Trier, Dublin City sowie UCLA begann er seine Karriere 1993 bei Goldman Sachs, wo er als Executive Director Repo Trading in London arbeitete. Anschließend war er Managing Director Fixed Income Trading bei der Dresdner Kleinwort in Frankfurt am Main.
Robert Lempkas Spezialgebiet ist die Entwicklung von digitalen Trading- und Investmentdienstleistungen. Er wirkte als Mitherausgeber und Autor bereits an mehreren Publikationen zum Thema Fintech mit.

Autorenverzeichnis

Heinz Ackermann

Business Development, Stockpulse GmbH, Bonn

Dr. Stefanie Auge-Dickhut

Head Competence Center Ecosystems, Business Engineering Institute St. Gallen, St. Gallen

Kai Baumann

Senior Consultant, BearingPoint GmbH, Frankfurt am Main

Dr. Robert Bosch

Partner, BearingPoint GmbH, Frankfurt am Main

Christoph Dammermann

Staatssekretär des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf

Dr. Martin Deckert

Chief Operating Officer, Merck Finck Privatbankiers AG, München

Oliver Dlugosch

Gründer und Chief Executive Officer, ndgit GmbH, München

Christian Haller

Head of DCM Financial Institutions, Crédit Agricole CIB, Frankfurt am Main

Sebastian Hasenack

Leiter Online Vermögensverwaltung, DJE Kapital AG, Pullach

Ralf Heim

Co-Gründer und Chief Executive Officer, Fincite GmbH, Frankfurt am Main

Stephan Heller

Gründer und Chief Executive Officer, FinCompare GmbH, Berlin

Jonas Krauß

Geschäftsführer, Stockpulse GmbH, Bonn

Axel Liebetrau

Gründer, BIG – Banking Innovation Group GmbH, Heidelberg

Stefan Nann

Geschäftsführer, Stockpulse GmbH, Bonn

Susan Niederhöfer

Geschäftsführung, komuno GmbH, Frankfurt am Main

Christian Paulus

Marketing Director, Fincite GmbH, Frankfurt am Main

Victor Perales

Analyst, BearingPoint GmbH, Berlin

Dr. Nico Peters

Geschäftsführender Gesellschafter, COMPEON GmbH, Düsseldorf

Julia Ptock

Content- und PR-Managerin, bonify, Berlin

Thomas Rappold

Gründer und Geschäftsführer, I&S Internet & Security Consulting GmbH, Vöhringen; Gründer und Geschäftsführer, T.A.R. Equity GmbH, Vöhringen

Corinna Reibchen

Gründerin und Chief Executive Officer, passcon GmbH und KYC Factory, Hamburg

Dr. Tobias Ruland

Chief Product Officer, FinTecSystems GmbH, München

Markus Rupprecht

Chief Executive Officer, Traxpay GmbH, Frankfurt am Main

Michael Savenay

Generalbevollmächtigter, Leiter Privatkunden/Head of Private Banking, Merck Finck Privatbankiers AG, München

Carola Schuler

Managing Director, Moody’s Investors Service, Frankfurt am Main

Valentin Sigrist

Consultant, BearingPoint GmbH, Frankfurt am Main

Prof. Mark Skilton

Professor of Practice, ISM Group & Director of AI Innovation Network, Warwick Business School, University of Warwick, Coventry; Head of ARC Lab Innovation, Enzen Global Ltd., London

Kris Steinberg

Chief Growth Officer, niiio finance group AG, Görlitz

Lucas von Reuss

Mitgründer und Geschäftsführer, Quant IP GmbH, München

Dr. Thorsten Voß

Rechtsanwalt und Bankkaufmann, VOSS Legal, Frankfurt am Main

Tilo Walter

Geschäftsführer, Palturai GmbH, Hofheim am Taunus

Jochen Werne

Chief Development & Chief Visionary Officer, Mitglied der Geschäftsleitung, PROSEGUR Cash Services Germany, Ratingen

Innovation und Digitalisierung in der Finanzwirtschaft

Christoph Dammermann
 
1  
Einleitung
2  
Megatrends für Innovation und Digitalisierung
3  
Digitale Transformation in der Finanzwirtschaft
3.1  
Weiterentwicklung der klassischen Banken
3.1.1  
Banken als digitale Unternehmen und Nutzer hochentwickelter Technologien
3.1.2  
Banken als Anbieter von Chancenkapital
3.1.3  
Chancen und Herausforderungen durch Plattformen und Ökosysteme
3.1.4  
Change Management und agile Arbeitsmethoden
3.2  
Neue Anbieter drängen auf den Markt
3.3  
Das Potenzial der Bigtechs
4  
Herausforderungen für den Wirtschaftsstandort
5  
Ökosysteme und Perspektiven

1  Einleitung

Die Digitalisierung ist gegenwärtig dabei, die Welt zu verändern. Sie führt zu einem Wandel im Privaten, in der Wirtschaft, in der Politik sowie in der Verwaltung und durchdringt alle Lebensbereiche. Erlebbar ist die „digitale Revolution“ alltäglich – in der Produktion, beim Einkauf, in der Freizeitgestaltung, in der Mobilität, beim Kommunizieren, in den Medien und auch in der Finanzwelt. Die (mobile) Nutzung des Internets ist mittlerweile für viele Menschen selbstverständlich. Technologische Innovationen erfordern daher auch von Unternehmen – Mittelständlern und Konzernen – eine digitale Transformation ihrer Geschäftsmodelle. Hierbei handelt es sich um eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit und gleichzeitig um einen Schlüssel für langfristigen Wohlstand. Sie kann dabei helfen, das Leben insgesamt einfacher zu gestalten, individuelle Neigungen zu verwirklichen – und damit letztlich den gesellschaftlichen Wohlstand zu erhöhen.
Von dieser Entwicklung ist neben der Musik- und Filmbranche, dem Buchhandel oder dem Reisemarkt die Finanzwirtschaft natürlich ebenfalls betroffen. Auch hier ist Digitalisierung kein abstraktes Zukunftsszenario mehr, sondern längst real und zu jeder Zeit beobachtbar.[1] Dies gilt nicht nur für den Zahlungsverkehr und basale Kontodienstleistungen. Gespräche mit Bank- oder Versicherungsberatern finden immer häufiger auf virtueller Ebene statt. Der Kunde kann entscheiden, ob er sein Institut z.B. per Videotelefonie oder Chat kontaktieren möchte. Standardisierte Anfragen übernehmen bereits Chatbots, die auf den Prinzipien der Künstlichen Intelligenz (KI) basieren.
Immer mehr etablierte Finanzdienstleister und Start-ups sorgen mit neuen digitalen Methoden und komplexen Algorithmen für präzisere Bonitätsbeurteilungen von Privatpersonen und Unternehmen. Das Ausfüllen von Formularen oder das Ein- und Auszahlen von Münzgeld und Scheinen hat gegenüber Beratungsgesprächen über Möglichkeiten der Geldanlage bzw. der Finanzierung deutlich an Bedeutung verloren. Technologische Innovationen können zudem den Gang in die Bankfiliale ersetzen und Geld sogar komplett in ein digitales Gut verwandeln – in den Augen vieler Nutzer ist es das bereits.
Darüber hinaus kommen neue Akteure auf den Markt, etwa kleine, technologieaffine Unternehmen aus dem Fintech-Bereich oder große Technologiekonzerne aus der Plattformökonomie (Bigtechs). Letztere bieten z.T. bereits heute Finanzdienstleistungen an und haben das Potenzial, zumindest den Zahlungsverkehr kurz- bis mittelfristig zu revolutionieren.
Dieser Beitrag beschreibt, welche Megatrends im Rahmen der digitalen Transformation der Geschäftsmodelle in der Finanzwirtschaft eine Rolle spielen (Abschnitt 2), bevor anschließend Chancen und Herausforderungen der digitalen Transformation aufgezeigt werden (Abschnitt 3). Der Beitrag schließt mit Herausforderungen für den Wirtschaftsstandort (Abschnitt 4) und einem Ausblick zu Ökosystemen in der Finanzwirtschaft und deren Perspektiven (Abschnitt 5).

2  Megatrends für Innovation und Digitalisierung

Die Finanzwirtschaft erfüllt eine wesentliche Aufgabe für alle Bereiche der Wirtschaft. Sie stellt Unternehmen Kapital zur Finanzierung von Investitionen, von Geschäften im In- und Ausland sowie zur Umsetzung und Entwicklung innovativer Ideen zur Verfügung. Sie ist als Partner für Konzerne, Mittelstand und Gründer von außerordentlicher Bedeutung – gerade in Nordrhein-Westfalen als bedeutsamer Finanzplatz. Privatkunden bietet die Finanzwirtschaft bei der Geldanlage den individuell zugeschnittenen Mix aus Sicherheit, Renditeerwartung und Flexibilität. Außerdem ermöglicht sie Haushalten den Erwerb der eigenen vier Wände oder andere größere Anschaffungen.
Spätestens seit dem Beginn der globalen Banken- und Finanzkrise im Jahre 2007 befindet sich die Branche jedoch in einem fundamentalen Veränderungsprozess. Neben dem Vertrauensverlust, den insbesondere klassische Banken in diesem Zusammenhang erfahren haben, geraten traditionelle Erlösquellen zunehmend unter Druck. Langjährig bewährte Geschäftsmodelle verlieren an Rentabilität. Ein Grund sind die zunehmenden Regulierungsanforderungen, die gerade kleinere Institute kaum noch stemmen können. Hinzu kommt die anhaltendende Niedrigzinsphase. Das geringe Zinsniveau lässt sich dabei nicht nur auf die hohen Ersparnisse bei gleichzeitig unzureichenden Investitionen zurückführen, sondern wird durch die Geldpolitik zusätzlich negativ beeinflusst. Hier ist zu befürchten, dass sich dieser Kurs fortsetzt, so lange die Konsolidierung der europäischen Staatsfinanzen nicht gelingt und die einzelnen Staaten bei der strukturellen Stärkung ihrer Wachstumskräfte nicht vorankommen. Mit diesen Rahmenbedingungen muss die Finanzwirtschaft umgehen, während innovative und digitale Technologien sowie neue Akteure auf dem Markt dazu führen, dass sie bestehende Geschäftsmodelle anpassen sowie neue Geschäftsmodelle entwickeln muss, um im Wettbewerb bestehen zu können.[2]
Durch die digitale Transformation steht Banken eine neue Generation hochleistungsfähiger Technologien zur Verfügung. Hierzu gehören u.a. der Einsatz von Big Data, KI (insbesondere Machine Learning) sowie die auf der Distributed-Ledger-Technologie (zu der auch Blockchain gehört) beruhenden Krypto-Token. Sie schaffen einerseits neue Geschäftsmodelle, die hergebrachte verdrängen oder ergänzen, z.B. Plattformen und Ökosysteme. Andererseits durchtrennen sie die Wertschöpfungskette von Finanzdienstleistungen und können bspw. über Schnittstellen zur Programmierung von Anwendungen (Application Programming Interface (API)) Drittanbietern Zugang zu bestehenden Geschäftsmodellen ermöglichen. Auch die Cloud-Technologie spielt in diesem Zusammenhang eine große Rolle, indem sie die Auslagerung von Finanzdienstleistungen automatisiert, standardisiert und somit beschleunigt.[3]
Ein Treiber dieser Entwicklung ist u.a. das Kundenverhalten. Eine verstärkte Nachfrage nach Internet- und Mobile Banking hat die vormals herausragende Bedeutung des Filialkundengeschäfts strukturell abgelöst. Immer weniger Filialen werden von Kunden immer seltener aufgesucht und es ist unsicher, wo dieser Trend endet.
Die dabei auftretenden Herausforderungen sind immens: Historisch gewachsene und dadurch veraltete IT-Systeme neben neuen Technologien, stark abnehmende Kundenbindung und – natürlich – der Fachkräftemangel sowie die alltägliche Arbeitsverdichtung spielen auch in der Finanzbranche eine wichtige Rolle. Doch wenn die Akteure mit einem ihrer größten Assets – dem in Jahrzehnten erworbenen Wissen um Kunden, ihren Bedürfnissen und ihrem Vertrauen – neue Ertragsfelder erschließen wollen, müssen sie die sich bietenden Chancen der digitalen Transformation ergreifen. Diese ist bei allen Herausforderungen keine schicksalhafte Entwicklung, die sich „überstehen“ oder gar „aussitzen“ lässt.
Um einer pauschalen Skepsis vorzubeugen: Die Einführung der Geldautomaten hat seinerzeit keineswegs zu einem Personalabbau der Banken geführt, sondern Kapazitäten für die persönliche Beratung der Kunden geschaffen. Das dreißig Jahre alte Bonmot „Die Banken werden zur Stahlindustrie der 90er Jahre“ des Deutsche-Bank-Vorstandes Ulrich Cartellieri, mit dem ein erheblicher Arbeitsplatzabbau durch technischen Fortschritt angekündigt wurde, schien widerlegt zu sein. Vielleicht kam die Voraussage aber auch nur dreißig Jahre zu früh. In jedem Fall gilt: Damit der digitale Wandel Erfolg hat, braucht es Geschwindigkeit, Technologie und Freiraum für Innovationen.[4]
Innovationen ermöglichen die Einführung neuer Produkte oder effizienter Verfahren. Wenn veraltete Techniken nicht mehr konkurrenzfähig sind oder Produkte kaum noch nachgefragt werden, geraten traditionelle Anbieter unter Druck. Der Ökonom Joseph A. Schumpeter nannte diesen Prozess „schöpferische Zerstörung“.[5] Entwickelt ein Unternehmen ein innovatives Produkt bis zur Marktreife, kann es dadurch zumindest zeitweise einen neuen monopolähnlichen Absatzmarkt schaffen, auf dem es vorübergehend hohe Gewinne erzielt. Für die Kreditwirtschaft noch bedeutender sind die Effizienzgewinne, wenn eine neue Technik Kostenvorteile schafft, etwa indem sich Fixkosten auf eine besonders große Zahl von Nutzern umlegen lassen. Vielfach bringt die Digitalisierung Marktteilnehmer schnell und einfach zusammen, etwa auf den bereits erwähnten Auktions- oder Vermittlungsplattformen. Gerade in der Finanzbranche bietet das passgenaue, schnelle Zusammenführen von Kapitalgebern und -nehmern weiterhin Effizienzpotenzial.
Andererseits verfügen etablierte Unternehmen immer auch über Vorteile, die sich über technische Erneuerungswellen hinaus mitnehmen lassen. Dazu zählen i.d.R. loyale und qualifizierte Mitarbeiter sowie Erfahrungen über Kundenwünsche und -bedürfnisse. Aus den guten Kundenkontakten könnte der für die Finanzwirtschaft entscheidende Faktor resultieren: Vertrauen. Das reicht allein zwar nicht aus, bildet aber gemeinsam mit der Bereitschaft zur Veränderung eine zukunftsträchtige Basis.
Eine innovative Vision ist daher auch für diejenigen Unternehmen relevant, die sich bereits auf einem Markt etabliert haben. So können sie die Chancen der digitalen Transformation proaktiv ergreifen und sich gegen die Entwicklungen neuer Anbieter behaupten.[6] Innovationen erfordern Kreativität und Risikobereitschaft. Innovative Betriebe bieten neue, vielfach attraktive Arbeitsplätze. Dabei eröffnet eine sich ständig weiterentwickelnde berufliche Bildung und Weiterqualifizierung neue Perspektiven.

3  Digitale Transformation in der Finanzwirtschaft

3.1  Weiterentwicklung der klassischen Banken

„Denn wer in der digitalen Finanzbranche bestehen will, muss ihre neuen Spielregeln verinnerlichen und anwenden. Wer nicht ‚digital‘ denkt, wird es schwer haben im Wettbewerb um den digitalen Kunden.“[7]
Schon 1994 versetzte Bill Gates die Branche in Aufruhr mit dem berühmt gewordenen Satz „Banking is necessary, banks are not.“ Diese Kampfansage wurde damals eher belächelt als ernst genommen. Bankvorstände bestätigten sich gegenseitig gerne, dass das klassische Filialgeschäft unverändert die Säule des Bankgeschäfts sein werde, auch wenn Deutschland nach allgemeiner Auffassung mit mehr Bankfilialen als Bäckereien wohl overbanked sei. Die Erkenntnis, dass Digitalisierung mehr bedeutet als Online-Banking und Geldautomaten, hat sich erst in jüngster Zeit durchgesetzt. Der Markterfolg des Zahlungsdienstleisters Paypal, dem auch die gemeinsame Gründung des deutschen Paydirekt nichts anhaben konnte, hat das disruptive Element der Digitalisierung unterstrichen.
Jetzt geht es darum, wie eine zukunftsfähige Positionierung gelingen kann, um die Chancen der digitalen Transformation zu nutzen.[8] Dies setzt innovative Geschäftsmodelle voraus, die eine Antwort auf die oben erläuterten Herausforderungen ermöglichen und gleichzeitig neue Erlösquellen generieren.[9] Auf die Frage, wie sich Banken vor diesem Hintergrund perspektivisch positionieren könnten, sind verschiedene Antworten denkbar.

3.1.1  Banken als digitale Unternehmen und Nutzer hochentwickelter Technologien

Banken einer nächsten Generation werden sich, so eine weit verbreitete These in Wissenschaft und Praxis, zu digitalen Unternehmen mit einer Banklizenz entwickeln.[10] Ob dies vollumfänglich zutrifft, zeigt die Zukunft. Sicher ist jedoch, dass digitales Denken eine essentielle Voraussetzung sein wird, um allein schon aufgrund des sich ändernden Kundenverhaltens im Wettbewerb bestehen zu können. So nimmt das Verständnis für digitale Banking-Angebote in der Bevölkerung mittlerweile zu. Während im Jahr 2016 nach einer Umfrage des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien zwei von drei Kunden elektronische Bankprodukte nicht verstanden, waren es 2019 nur noch zwei von fünf Befragten. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Online-Banking-Nutzer von 57% auf 70% gestiegen. Aktuell ist zu beobachten, dass das Mobile-Banking das Online-Banking zunehmend ergänzt. Nutzte 2016 lediglich etwas mehr als jeder dritte Befragte mobile Endgeräte für die Erledigung seiner Bankgeschäfte, war es 2019 bereits jeder zweite.[11]
Das Bankgeschäft ist also längst nicht mehr ausschließlich ein Geschäft des persönlichen Kontakts, sondern wird durch technologische Innovationen zunehmend weiterentwickelt und gerade im Bereich der Zahlungsabwicklung durch digitale Komponenten vielfach sogar ersetzt. Dies geschieht selbstverständlich auch vor dem Hintergrund, dass der Kunde digitale Bankprodukte einfacher, leicht verständlicher und vergleichbarer Art gezielt nachfragt.
Unverändert wird die These vertreten, dass von dieser Entwicklung vorerst komplexe Bankgeschäfte kaum betroffen sein dürften, die auch weiterhin eine individuelle Beratungsdienstleistung erfordern und daher nur schwer zu standardisieren sind.[12] Die Kunden werden letztlich entscheiden, ob diese These stimmt und sie für individuelle Beratung noch bezahlen werden.
Für den Finanzdienstleister der nächsten Generation erfordert dies v.a. das gleichzeitige Ausnutzen von Bestehendem und das Erkunden von Neuem: Einerseits muss er verstärkt in digitale Geschäftsmodelle investieren. Andererseits kann der physische Kundenkontakt in stationären Filialen, wenn die Kunden dies als individuelle Ansprache und damit als Mehrwert empfinden, weiterhin eine wichtige Säule des Bankgeschäfts bleiben.
Diesem Kundenverhalten können Institute durch eine kluge Kombination aus technologischen Innovationen und Kundenorientierung mit einem passgenauen Produktangebot begegnen. Entscheidend wird es sein, im Alltag der Kunden präsent zu sein – sowohl online als auch offline. Damit dies gelingt, reicht das bloße Vorhalten eines Internet-Banking-Portals jedoch nicht aus. Dies zeigt sich auch daran, dass selbst klassische Internetbanken wie die ING inzwischen Regionalbüros eröffnen. Innovative Geschäftsmodelle erfordern Investitionen in Ressourcen.
Die Bedürfnisse seiner Kunden zu kennen setzt voraus, seine Kunden zu verstehen. Klassische Banken können bei der Analyse von Kundendaten in großer Zahl mittels neuer Technologien, d.h. Big Data, KI und Blockchain, auf bereits vorhandene Erkenntnisse aufbauen und haben dadurch einen Startvorteil. Die neuen Technologien vereinfachen und beschleunigen die Auswertung komplexer Daten. Ziel dabei ist es letztlich, eigene Produkte für die Kunden zu optimieren und individualisierte Angebote zu erstellen.
Letztlich wäre sogar eine Monetarisierung von Kundendaten, sprich ihr anonymisierter Verkauf an Dritte, eine denkbare Option für traditionelle Banken, um zukünftig neue Ertragsquellen zu erschließen.[13] Solche Überlegungen dürften jedoch nur vor dem Hintergrund der Datensicherheit und der Selbstbestimmung über die eigenen personenbezogenen Daten der Bankkunden in engen Grenzen und mit erheblicher Skepsis der Kundschaft erfolgen. Zudem kann KI in diesem Zusammenhang schon heute auch von den Banken selbst erfolgreich eingesetzt werden, um Betrugsfälle oder Geldwäsche aufzudecken, Zahlungsströme zu überwachen und Kunden zu identifizieren.[14]
Eine Chance der digitalen Transformation der Geschäftsmodelle ist es darüber hinaus, an der Kundenschnittstelle bei innovativen Bezahlverfahren mit externen Dienstleistern zu kooperieren, was viele Banken heute noch eher als Gefahr denn als Potenzial für neue Geschäftsmodelle sehen. Die neue Richtlinie der Europäischen Union (EU) zum Zahlungsverkehr (Payment Service Directive II (PSD II)) hat das Ziel, den europäischen Bankenmarkt zu harmonisieren, auch wenn die Umstellung als bürokratisches Monstrum erlebt wurde. Erteilt der Kunde sein Einverständnis, dürfen auch Dritte auf seine Zahlungskonten zugreifen. Vor diesem Hintergrund sind z.B. einige Online-Händler auf einen Zahlungsdienstleister angewiesen. Auch wäre es denkbar, dass Banken selbst Zahlungen für Händler auslösen und damit neue Geschäftsfelder erschließen.[15]

3.1.2  Banken als Anbieter von Chancenkapital

Zu einem umfassenden Finanzierungsangebot für Unternehmen aller Lebensphasen gehört neben der Kreditfinanzierung die Beteiligungsfinanzierung. Insbesondere in der Frühphase und in Wachstumsphasen von Unternehmen sind investive Beteiligungen und Chancenkapital notwendig, um eine dynamische Wirtschaftsentwicklung, Innovationen und Digitalisierung zu fördern.
Banken und Sparkassen bieten Beteiligungskapital oft über Tochtergesellschaften an. Darüber hinaus hat sich ein Private-Equity-Markt mit Kapitalbeteiligungsgesellschaften und Venture-Capital-Gesellschaften entwickelt, die auf den klassischen Mittelstand bzw. auf Start-ups zielen. Neben der Finanzierung kommt es hierbei auf die Managementbegleitung und das Einbringen von Netzwerken an. Im internationalen Vergleich besteht an diesen Kapitalmärkten noch erheblicher Aufholbedarf.
Gerade für das Gründerland Nordrhein-Westfalen sind Eigenkapitalangebote für Start-ups von großer Bedeutung, sowohl in der Frühphase als auch bei Anschlussfinanzierungen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung baut dieses Ökosystem zusammen mit der NRW.BANK aus. Die Maßnahmen einer Kapitalmarktunion auf europäischer Ebene gehen ebenfalls in die richtige Richtung.
Finanzdienstleister der nächsten Generation werden zu einem wachsenden Anteil Chancenkapital anbieten. Der Markt für Venture Capital, zur Gründungsfinanzierung und für Mittelstandsbeteiligungen gewinnt an Breite und Vielfalt und geht noch näher auf die individuellen Unternehmensbedürfnisse ein. Hybride und standardisierte Finanzierungsangebote haben ebenfalls gute Perspektiven.

3.1.3  Chancen und Herausforderungen durch Plattformen und Ökosysteme

Klassische Banken könnten sich darüber hinaus weiterentwickeln, indem sie neue, auch bankfremde, Dienstleistungen in das eigene Produkt-Portfolio aufnehmen bzw. selbst erbrachte Finanzprodukte auslagern. Hierbei spielt die Plattformtechnologie eine zentrale Rolle. Bei einer digitalen Plattform kommen Angebot und Nachfrage an einem virtuellen Ort zusammen. Dort konkurrieren verschiedene Anbieter; der Kunde wählt das für ihn vorteilhafteste Produkt aus, bspw. zur Geldanlage. Das Zusammenführen von Wettbewerbern stellt ihm diverse Angebote weitgehend transparent und damit vergleichbar zur Verfügung. Anbieter profitieren von den Netzwerkeffekten: Je größer das Angebot auf einer Plattform ist, desto mehr Nachfrager zieht sie an und vice versa.
Bietet eine Plattform unterschiedliche Produkte an, die die Bedürfnisse der Kunden vollumfänglich berücksichtigen, spricht man darüber hinaus von einem Ökosystem oder in der Finanzwirtschaft auch von Beyond-Banking. Ökosysteme können für den Kunden einen höheren Nutzen generieren, indem sie Synergien gegenüber einer individuellen Produktzusammenstellung schaffen. Banken profitieren ebenfalls von Ökosystemen. Treten sie als Orchestrator auf, ist es ihnen möglich, als Infrastrukturbetreiber Produkte anderer (Finanz-)Dienstleister in die eigene Wertschöpfungskette zu integrieren. Sie können aber auch fremde Ökosysteme nutzen und sich damit auf ihre eigenen Kernkompetenzen, d.h. auf einzelne Wertschöpfungsschritte, konzentrieren.[16]

3.1.4  Change Management und agile Arbeitsmethoden

Bei allen Fragen nach der technischen Machbarkeit erfordert die digitale Transformation der Geschäftsmodelle auch ein effektives Change Management, da in den Banken letztlich die Beschäftigten die Entwicklung umsetzen.[17] Manche Finanzdienstleister etablieren in diesem Zusammenhang agile, experimentelle Arbeitsmethoden, um den Innovationsprozess zu beschleunigen. Ob dies gelingt, bleibt vorerst offen.
Sicher ist aber, dass eine innovative Arbeitsweise die Attraktivität klassischer Banken als Arbeitgeber erhöhen kann. Dies ist auch notwendig, da die digitale Transformation der Geschäftsmodelle die Einstellung von IT-Spezialisten erfordert, die nicht unbedingt einen finanzwirtschaftlichen Hintergrund haben und deren Arbeitskraft branchenübergreifend gefragt ist.
Maßgeblich für eine erfolgreiche Weiterentwicklung klassischer Banken ist letztlich eine klare und individuelle Positionierung am Finanzmarkt. Banken müssen entscheiden, welche Finanzprodukte sie anbieten und welche Kunden sie ansprechen möchten. Zentral ist dabei auch die Überlegung, ob eine Bank als Orchestrator eines Ökosystems selbst Infrastruktur anbietet und ausfüllt oder ob sie mit ihren Produkten ein Ökosystem eines Drittanbieters nutzt. Der berühmt-berüchtigte war for talents macht es außerdem erforderlich, die eigene Belegschaft zu inspirieren und ein attraktiver Arbeitgeber für datenaffine Beschäftigte zu sein. Letztlich könnten Kundenorientierung, digitalisierte Standardprozesse und die Plattformtechnologie auf der einen Seite sowie individuelle, persönliche Beratungsdienstleistungen auf der anderen Seite eine erfolgreiche Weiterentwicklung klassischer Banken zusammenfassend charakterisieren.

3.2  Neue Anbieter drängen auf den Markt

Durch die digitale Transformation der Geschäftsmodelle sind die klassischen Banken längst nicht mehr alleiniger Anbieter von Finanzdienstleistungen. Vielmehr kommen zunehmend Unternehmen auf den Bankenmarkt, die aufgrund der vorhandenen digitalen Nachfrage mit Hilfe moderner datengetriebenen Technologien innovative Finanzprodukte anbieten können.
Fintechs, die regelmäßig zunächst als dynamische Start-ups in Erscheinung treten, haben bereits eine Vielzahl digitaler Geschäftsmodelle entwickelt. Hierbei sind sie oft in Geschäftsfeldern aktiv, die von klassischen Banken nicht optimal bedient wurden und auf denen sich der Kundennutzen durch effiziente, transparente und benutzerfreundliche Oberflächen für Finanzdienstleistungen verbessern lässt.
In der Folge verliert das vertikal integrierte Geschäftsmodell klassischer Banken zunehmend an Bedeutung; Fintechs brechen die bisherige Wertschöpfungsstruktur auf und bieten selbst Bankdienstleistungen an. Erträge verteilen sich auf mehr Unternehmen, da die Anzahl der Anbieter steigt. Hierdurch entsteht zusätzlicher Wettbewerbsdruck.[18]
Analog zur klassischen Wertschöpfungsstruktur in einer Bank sind auch Fintechs bspw. in den Bereichen Finanzierung, Vermögensmanagement und Zahlungsverkehr aktiv. Darüber hinaus befasst sich ein weiteres Fintech-Segment mit Technik und IT-Infrastruktur. Einige bekannte Fintechs betreiben etwa Plattformen für Crowdlending bzw. Crowdinvesting oder sind in den Bereichen Social Trading und Robo Advice tätig.[19] Auf den genannten Finanzierungsplattformen können Interessenten z.B. ein Kreditgesuch inserieren, das potenzielle Kreditgeber ohne direkte Beteiligung einer Bank als Investment bedienen. Eine klassische Bank fungiert in diesem Zusammenhang lediglich als Vermittler oder Zahlungsabwickler.
Wie viele Fintechs es in Deutschland mittlerweile gibt, ist umstritten und hängt von der Definition ab. Während eine Studie der Comdirect Bank im November 2018 einen Bestand von 793 Fintechs identifiziert hat, hat die Unternehmensberatung EY am Ende des ersten Halbjahres 2018 303 entsprechende Unternehmen im Markt gezählt.[20] Allerdings dürfte die tatsächliche Zahl an Fintechs höher liegen, da junge Start-ups oftmals erst zeitverzögert öffentlich in Erscheinung treten.
Ob Fintechs die klassischen Finanzdienstleister als Kooperationspartner unterstützen oder deren Geschäftsmodell als Konkurrenten angreifen, ist noch nicht abschließend geklärt und ohnehin nicht pauschal zu beantworten. Bis auf einige Ausnahmen, wie bspw. mobile Direktbanken, die eine Vollbanklizenz besitzen und ihre Rivalität als Disruptor immer wieder medienwirksam betonen, scheint aber derzeit der Kooperationsgedanke im Vordergrund zu stehen.
Aus der Zusammenarbeit zwischen Fintechs und klassischen Banken kann eine Win-win-Situation entstehen. Während Fintechs eine hohe digitale Kompetenz aufweisen und durch kurze Entwicklungszyklen Innovationen voranbringen, haben klassische Banken eine breite Kundenbasis und fundierte Kenntnisse im Umgang mit regulatorischen Anforderungen. Ihre Kundennähe und Beratungskompetenz können zudem Vertrauen schaffen. So ist es nicht verwunderlich, dass im Jahr 2018 allein in Deutschland 562 Kooperationen von Banken und Fintechs gezählt wurden.[21]
Durch diese Symbiose entstehen zusätzliche Chancen und Herausforderungen. Fintechs bieten einzelne Prozessschritte einer Bankdienstleistung oder technische Unterstützungsprozesse an, durch die klassische Banken Effizienzsteigerungen realisieren können und die das Kundenerlebnis verbessern. Dies öffnet die Märkte und führt zu einer vielfältigeren Wettbewerbslandschaft.[22] Umgekehrt stärken traditionelle Banken durch ihr kooperatives Verhalten Fintechs. In der Folge ist es daher nicht ausgeschlossen, dass Fintechs mit der Zeit einen eigenen Kundenstamm aufbauen und sich sogar um eine Banklizenz bemühen, um später als Konkurrent am Markt aufzutreten. Eine Banklizenz würden sie dann benötigen, sobald sie nicht nur im Zahlungsverkehr aktiv wären, sondern auch Leistungen anböten, die unter das Kreditwesengesetz (KWG) fallen.

3.3  Das Potenzial der Bigtechs

Neben den Fintechs treten gegenwärtig auch die Bigtechs als neue Unternehmen in die Finanzmärkte ein. Bei diesen handelt es sich um die vier international aufgestellten US-Technologiekonzerne Google, Apple, Facebook und Amazon (GAFA) sowie um ihre beiden chinesischen Wettbewerber Alibaba und Tencent. Sie bieten u.a. IT-Dienstleistungen, Plattformen und digitale Ökosysteme an.
Bigtechs zeichnen sich dabei sowohl durch ihre Innovationskraft als auch durch ihre Marktmacht, ihre breite Kundenbasis und ihre finanziellen Ressourcen aus.[23] So haben die oben genannten Unternehmen in ihrer jeweiligen Branche Marktanteile von z.T. weit über 50%.[24] Zusammen mit Samsung repräsentieren sie darüber hinaus 96% des gesamten globalen Plattformgeschäfts.[25] Die sechs Bigtechs sind zudem allesamt unter den zehn wertvollsten Unternehmen des Jahres 2019 vertreten (Abbildung 1).
Abbildung 1: Top-Ten-Unternehmen weltweit nach Markenwert 2019 (in Mio. USD)
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Quelle: nach Brandz (2019): Brandz Top 100 Most Valuable Global Brands 2019
Die Bigtechs könnten durch die Etablierung von Standards im Digitalbereich versuchen, auch im Finanzsektor die Marktführerschaft zu übernehmen. Hierzu haben sie sowohl das Potenzial als auch die notwendige Verbreitung. Aktiv sind sie aktuell insbesondere als Zahlungsdienstleister (z.B. Apple Pay und Google Pay). Verstärkt wird diese Entwicklung dadurch, dass Google eine E-Geld-Lizenz für Europa erworben hat oder durch die Kryptowährung Libra, die Facebook einführen möchte. Bei rund 1,9 Mrd. möglichen Nutzern weltweit entstünde hier ein enormes Potenzial. Gleichzeitig bietet sich vielen Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern die Aussicht auf einen Bankzugang – was dort leider noch keine Selbstverständlichkeit ist, gerade für Frauen.
„Wozu also brauchen wir in der digitalisierten Welt noch Banken?“, fragte daher bspw. die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Mai 2018.[26] Bigtechs können durch ihre moderne Technologie die Kundenschnittstelle besetzen, insbesondere auch, da sie Erfahrungen im Umgang mit personalisierter Kundenansprache haben. Durch die Nutzung ihrer Kundendaten gewinnen sie laufend neue Erkenntnisse. Durch diese generieren sie wiederum laufend neue Daten. Fraglich ist bei dieser Entwicklung aber, ob Bigtechs überhaupt daran interessiert sind, in den Markt der klassischen Banken einzutreten oder ob sie lediglich die Zahlungsströme als zusätzliche Datenquelle nutzen möchten, um ihre eigenen Plattformen zu optimieren.
Die Chancen der klassischen Banken bei dieser Entwicklung bestehen einerseits darin, ihre eigenen Transaktionsdaten für individualisierte Bankdienstleistungen aufzubereiten und zu verwenden, um sich im Wettbewerb gegen die Bigtechs durchzusetzen.[27] Andererseits genießen sie derzeit noch ein größeres Vertrauen ihrer Kunden, das es in diesem Zusammenhang ebenfalls dringend zu nutzen gilt. Dies unterstreicht eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Bundesverbands deutscher Banken, der zufolge 95% aller Befragten im März 2017 einen Wechsel zu den Bigtechs ausschlossen, sollten diese Bankdienstleistungen anbieten.[28] Eine solche Erhebung darf aber keine Beruhigung für die Banken und Sparkassen sein, da sich Kundenverhalten in digitalen Zeiten schnell ändert.

4  Herausforderungen für den Wirtschaftsstandort

Die Trends stellen auch die Wirtschaftspolitik vor Herausforderungen. Diese sind globaler Art und bedürfen daher i.d.R. mindestens einer europäischen Antwort. Neue Geschäftsmodelle, die aus der digitalen Transformation hervorgehen, können sich erfolgreich im Wettbewerb behaupten und entwickeln, wenn sie durch klug gesetzte politische Rahmenbedingungen unterstützt werden und mit unseren europäischen Werten etwa beim Datenschutz vereinbar sind. Die öffentliche Förderung von Forschung und Entwicklung kann auch in der Finanzwirtschaft helfen, digitale Unternehmen als Wachstumstreiber zu gewinnen. Dazu muss sie aber den Wettbewerb um die besten Ideen und Technologien entfachen und nicht vorentscheiden. Auch darf sie nicht einzelne Anbieter dauerhaft bevorzugen, sondern sollte zu Innovationen inspirieren, die allen zugutekommen.
Abzuwarten bleibt, ob die KI-Strategie der Bundesregierung vor dem Hintergrund massiver chinesischer Investitionen ausreichen kann, um im Standort- und Technologiewettbewerb eine maßgebliche Rolle zu spielen. Zu politischen Rahmenbedingungen gehört auch, die Datennutzung von Unternehmen zu fördern sowie Standards für die Datensouveränität zu fordern.[29] Auch muss der Wettbewerb bei Plattformen weltweit gesichert werden. Kunden dürfen nicht durch Lock-in-Effekte daran gehindert werden, stets zum besten Plattformanbieter wechseln zu können. Kluge Wettbewerbsregeln verhindern dies.
Insgesamt ist eine Offenheit des Gesetzgebers für Innovationen, Digitalisierung und neue Technologien sowie der Ausbau der wissens- und technologieorientierten Infrastruktur und ihres Transfers nötig. Dies beinhaltet auch Reformen der Rahmenbedingungen: Schlanke und effiziente Prozesse bedingen einen Abbau bürokratischer Hürden. Gerade in einer komplexen, schnelllebigen und unübersichtlichen Welt lähmt ein enges Korsett detaillierter Vorgaben Fortschritt. Vielmehr sind ein Wettbewerb der Ideen, Flexibilität und Eigeninitiative erforderlich.
Einige Regelungen wie die steuerliche Abschreibung digitaler Wirtschaftsgüter über fünf Jahre sind veraltet und müssen an eine digitale Gegenwart angepasst werden. Dies gilt grundsätzlich für alle Wirtschaftsbereiche und auch für die Finanzwirtschaft. Ergänzend kommt hinzu, dass ein Level Playing Field, d.h. faire Wettbewerbsbedingungen u.a. bei der Regulierung von Finanzinstituten, gewährleitet ist. Bspw. schrecken Vorgaben, die vermeintlich dem Verbraucherschutz dienen, Kunden von der Geldanlage ab – insbesondere von einer risiko- und renditeorientierten.
Hiervon sind auch Sustainable-Finance-Instrumente betroffen, die ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltige Investitionen ermöglichen sollen. Deren Nutzung sollte für Kreditinstitute freiwillig sein und durch Klassifizierungen im Wettbewerb unterstützt werden, die gleichzeitig eindeutig sowie schlank und flexibel genug ist, um einerseits kleinen Instituten Spielraum zu lassen und andererseits Greenwashing zu verhindern.

5  Ökosysteme und Perspektiven

Während es in der Finanzwirtschaft in den vergangenen Jahren zumeist darum ging, die Ursachen der globalen Banken- und Finanzkrise zu analysieren und aufzuarbeiten, richtet sich der Blick der Marktakteure mittlerweile in die Zukunft. Finanzdienstleister der nächsten Generation werden derzeit durch niedrige Zinsen, hohe regulatorische Anforderungen und durch die digitale Transformation ihrer Geschäftsmodelle, die bereits heute in einem veränderten Kundenverhalten deutlich wird, herausgefordert. Der intensive Wettbewerb, verstärkt durch Fintechs und Bigtechs als neue Marktteilnehmer, sowie technologische Innovationen erfordern massive Investitionen in Technik und Personal, um auf sinkende Erträge zu reagieren. Neben Konsolidierungsbestrebungen und Kooperationen ist die digitale Finanztechnologie hier aber nicht nur eine Herausforderung, sondern zugleich auch eine Chance. Innovative Geschäftsmodelle können dabei helfen, zukünftige Erträge zu generieren und Kosten zu senken.