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Kompendium bankbetrieblicher Anwendungsfelder

Herausgeber:
Frankfurt School of Finance & Management

Stefan Günther
Cyrus Moriabadi
Prof. Dr. Jörn Schulte
Dr. Hendrik Garz

Portfolio-Management

Theorie und Anwendung

Unter Mitarbeit von:
Milena Brütting
Felix Luksch
Eberhard Hausen

5., überarbeitete Auflage 2012

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Legende:

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Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN (PDF): 978-3-940913-81-4
ISBN (ePub): 978-3-940913-82-1

5., überarbeitete Auflage 2012 © Frankfurt School Verlag GmbH, Sonnemannstraße 9-11, 60314 Frankfurt am Main

Vorwort

Die Frankfurt School of Finance & Management, kompetenter Bildungspartner des Kreditgewerbes, bietet engagierten Nachwuchskräften von Banken an, sich für anspruchsvolle Fach- und Führungsaufgaben zu qualifizieren: Das dreistufige Qualifikationsprofil Bankfachwirt-, Bankbetriebswirt- und Management-Studium hat sich erfolgreich in der Bankindustrie Deutschlands etabliert und bewährt.

Das aus neun Modulen bestehende Kompendium bankbetrieblicher Anwendungsfelder ist für Studierende des Bankbetriebswirt-Studiums konzipiert und mit dem Curriculum entsprechend abgestimmt. Zusätzlich ist das Werk auch für Studierende der Hochschulen und für Praktiker als Studienbuch gut geeignet.

Es hat sich als Medium zur Weiterentwicklung der fachlichen, persönlichen und sozialen Kompetenz bewährt. Die enge Verknüpfung von Theorie und Praxis hat dieser Fachbuchreihe ein klares eigenständiges Profil gegeben.

Die positive Resonanz unserer Leser bewegt uns, die Fachbuchreihe auf dieser Linie konsequent weiterzuentwickeln. Sämtliche Fachbücher werden didaktisch und inhaltlich grundlegend überarbeitet.

In didaktischer Hinsicht wird besonderer Wert auf die weitere Stärkung des Praxisbezuges der dargebotenen Inhalte gelegt. Zusätzliche Fallbeispiele erleichtern und vertiefen das Verständnis. Konkrete Einstiege und Schlüsselbegriffe zu Beginn sowie Zusammenfassungen und Arbeitsaufgaben am Ende der Kapitel unterstützen das Selbststudium unserer Studierenden und Leser.

Unser Dank gilt den Studierenden, Dozenten und Praktikern, die zur Weiterentwicklung dieses Kompendiums bankbetrieblicher Anwendungsfelder beigetragen haben. Ganz besonders danken wir unseren Autoren für ihren Einsatz bei der Umsetzung der Anregungen sowie der fachlichen und didaktischen Weiterentwicklung dieses Bandes.

Prof. Dr. Udo Steffens
Präsident und Vorsitzender der Geschäftsführung
der Frankfurt School of Finance & Management

Inhalt

  Vorwort
1 Einleitung
Prof. Dr. Jörn Schulte/Dr. Hendrik Garz
2 Theorie des Portfolio-Managements
2.1 Kurzer historischer Rückblick
2.2 Homo Oeconomicus und die klassische Kapitalmarkt-Theorie
2.2.1 Riskante Investitionen und das Entscheidungsproblem der Portfolio-Theorie
2.2.1.1 Grundlegende Zusammenhänge
2.2.1.2 Zusammenfassung und Arbeitsaufgaben
2.2.2 Die Suche nach dem optimalen Portfolio
2.2.2.1 Der „rationale“ Investor
2.2.2.2 Individuelle Portfolio-Auswahl
2.2.2.3 Portfolio-Auswahl bei Existenz einer risikolosen Geldanlage
2.2.2.4 Zusammenfassung und Arbeitsaufgaben
2.2.3 Bewertung im Marktgleichgewicht
2.2.3.1 Das CAPM
2.2.3.2 Arbitrage-Pricing-Theory (APT)
2.2.3.3 Zusammenfassung und Arbeitsaufgaben
2.2.4 Effiziente Märkte
2.2.4.1 Operationale Effizienz
2.2.4.2 Informationseffizienz
2.2.4.3 Bewertungseffizienz
2.2.4.4 Zusammenfassung und Arbeitsaufgaben
2.3 Behavioral Finance – Mehr als Angst und Gier
2.3.1 Einführung
2.3.2 Heuristiken – Zur Problematik vereinfachter Entscheidungsregeln
2.3.3 Erfolg ist relativ – Framing, mentale Konten und Referenzpunktdenken
2.3.4 Neubewertung der Effizienzmarkthypothese und Schlussfolgerungen für die Praxis des Portfolio-Managements
2.3.5 Zusammenfassung und Arbeitsaufgaben
2.4 Turbulenzen und Chaos an den Finanzmärkten
Stefan Günther
3 Asset Allocation
3.1 Grundüberlegungen
3.1.1 Aufgabenstellung und Struktur der Asset Allocation
3.1.2 Aktives versus passives Portfolio-Management
3.1.3 Kosten- und Losgrößenprobleme
3.1.4 Zusammenfassung und Arbeitsaufgaben
3.2 Strategische Asset Allocation
3.2.1 Zur Bedeutung der langfristigen Anlagepolitik
3.2.2 Erarbeitung des Anlegerprofils
3.2.3 Erstellung des Marktprofils
3.2.3.1 Charakteristika von Geldmarkt-, Renten- und Aktienanlagen
3.2.3.2 Risiko und Ertrag an realen Kapitalmärkten
3.2.3.3 Bedeutung des Anlagehorizonts für die Anlagepolitik
3.2.4 Zusammenführung von Anleger- und Marktprofil
3.2.5 Zusammenfassung und Arbeitsaufgaben
3.3 Taktische Asset Allocation
3.3.1 Grundgedanken zum aktiven Portfolio-Management
3.3.2 Ermittlung von Ertrags- und Risikoschätzern
3.3.2.1 Ertragsschätzer
3.3.2.2 Risikoschätzer
3.3.3 Asset-Klassen-Allocation
3.3.3.1 Beurteilung der relativen Vorteilhaftigkeit anhand von Bewertungskennzahlen
3.3.3.2 Konjunkturzyklische Einschätzung der Attraktivität von Asset-Klassen
3.3.3.3 Zusammenfassung und Arbeitsaufgaben
3.3.4 Länder-, Sektor- und Währungs-Allocation
3.3.4.1 Länder- und Sektor-Allocation
3.3.4.2 Währungs-Allocation
3.3.4.3 Einzelwertauswahl
3.3.5 Portfolio-Optimierung
3.3.6 Zusammenfassung und Arbeitsaufgaben
3.4 Ergänzende moderne Ansätze der Asset Allocation
3.4.1 Dynamische Asset Allocation und „benchmarkunabhängige“ Strategien
3.4.2 Multi Asset Allocation
3.4.3 Zusammenfassung und Arbeitsaufgaben
3.5 Erfolgsfaktoren und Fazit
Cyrus Moriabadi
4 Derivate und Portfolio-Insurance
4.1 Vom Aufstieg und der Rolle von Derivaten im Portfolio-Management
4.2 Portfolio-Insurance
4.2.1 Grundidee und Ziel des Konzeptes
4.2.2 Asymmetrie als Grundlage des Konzeptes
4.2.2.1 Bedeutung der instrumentellen Eigenschaften von Optionen
4.2.2.2 Bedeutung von Bewertungsmodellen
4.2.3 Zusammenfassung und Arbeitsaufgaben
4.3 Zur Gestalt von Derivaten oder: Strukturierte Produkte
4.4 Absicherungsstrategien für Aktien-Portfolios
4.4.1 Grundüberlegungen
4.4.2 Stop-Loss-Strategie
4.4.3 Klassische Strategie: der Protective Put
4.4.4 Portfolio-Insurance mit Calls
4.4.5 Synthetischer Put
4.4.6 Dynamische Verfahren der Formelanlageplanung
4.4.7 Kasse-Short-Put-Switch
4.5 Bedeutung und Strategien der Portfolio-Insurance bei Bonds
4.5.1 Gewachsene Bedeutung der Bond-Insurance
4.5.2 Instrumente und Strategien bei der Bond-Absicherung
4.6 Zusammenfassung und Arbeitsaufgaben
Cyrus Moriabadi
5 Messung und Analyse der Performance von Finanzportfolios
5.1 Bedeutung und Aufgabenstellung
5.2 Performance-Messung
5.2.1 Eindimensionale Erfolgsmaße
5.2.1.1 Die Basisformel
5.2.1.2 Die mehrjährige Betrachtung von Performance
5.2.1.3 Die wertgewichtete Performance-Messung (Interner Zinsfuß)
5.2.1.4 Die zeitgewichtete Performance-Messung
5.2.1.5 Näherungsverfahren zur zeitgewichteten Performance-Messung
5.2.2 Der Bezugspunkt „persönliche Benchmark“
5.2.3 Zweidimensionale Erfolgsmaße
5.2.4 Zusammenfassung und Arbeitsaufgaben
5.3 Performance-Attribution
5.3.1 Können, Glück und Zufall
5.3.2 Erfolgsquellenanalyse
5.3.2.1 Grundlagen und Zielsetzung
5.3.2.2 Performance-Zerlegung nach Entscheidungsebenen
5.3.2.3 Methodische Besonderheiten
5.3.2.4 Zusammenfassung und Arbeitsaufgaben
5.4 Performance Presentation Standards
5.5 Besondere Aspekte bei der Erzielung und Analyse von Performance
5.6 Zusammenfassung und Arbeitsaufgaben
6 Anhang
7 Symbolverzeichnis
8 Literaturverzeichnis
9 Stichwortverzeichnis
10 Kurzbiographien der Autoren

1 Einleitung

In den vergangenen 50 Jahren hat die Bedeutung der Kapitalmärkte in Wirtschaft und Gesellschaft erheblich zugenommen. Dagegen hat die Bedeutung der Kreditinstitute als Finanzintermediäre abgenommen. Unternehmen beschaffen sich Kapital häufig direkt am Kapitalmarkt als noch in früheren Jahrzehnten. Die Aktienmärkte spielen darüber hinaus eine wichtige Rolle als Innovationsmotor.

Auf der anderen Seite haben gesellschaftliche Trends, wie z. B. die demografische Entwicklung und die daraus abzuleitende Notwendigkeit einer privaten Altersvorsorge, dazu geführt, dass die Zahl der Aktienanleger in Deutschland zugenommen hat. In der ersten Jahreshälfte 2011 besaßen 8,3 Millionen Bundesbürger (Deutsches Aktieninstitut) Aktien oder Anteile an Aktienfonds. Gegenüber 1997 stellt dies einen Zuwachs von rund 50 % dar. Auffällig ist, dass die Zahl der indirekten Aktionäre erheblich zugenommen hat. Im ersten Halbjahr 2011 hatten 4,6 Mio. (55,6 %) der Aktienanleger ihr Geld ausschließlich in Fonds investiert gegenüber nur 1,7 Mio. (30 %) in 1997. Mit der zunehmenden Bedeutung der Aktie als Altersvorsorgeinstrument dürfte sich der Trend zur Delegation von Anlageentscheidungen fortsetzen. Die Fondsindustrie wird aller Voraussicht nach weiter wachsen.

Die zunehmende Bedeutung des Produktionsfaktors Wissen in unserer Gesellschaft findet in der Investmentindustrie einen besonders starken Niederschlag. In kaum einer anderen Industrie ist eine derartige Fülle komplexer Informationen in einer derart kurzen Zeit in Entscheidungen umzusetzen wie hier. In kaum einer anderen Industrie versuchen sich die Wettbewerber am Markt so stark über ihr Wissen von den Konkurrenten zu differenzieren wie hier. Nirgendwo sonst können Fehlentscheidungen so schnell so viel Geld kosten wie hier. Der Bedarf an einer, den gewachsenen Ansprüchen genügenden Ausbildung ist daher verständlicherweise groß. Die Investmentindustrie befindet sich dabei in der glücklichen Lage, dass sich Theorie und Praxis von jeher ungewöhnlich stark wechselseitig befruchtet haben.

So lag einer der Auslöser für das Entstehen der modernen Kapitalmarkt-Theorie als eigenständige wissenschaftliche Disziplin im Aktienmarkt-Crash von 1929 und der von ihm ausgehenden Weltwirtschaftskrise. Risikokontrolle und Risikomanagement waren fortan Eckpfeiler der sich rasant entwickelnden Disziplin. Ohne die Kapitalmarkt-Theorie wäre das Entstehen der Derivatemärkte, wie wir sie heute kennen, gar nicht denkbar gewesen. Financial Engineering wäre wohl noch ein Fremdwort. Auch auf das Management von Unternehmen hatte die Entwicklung einen enormen Einfluss. Unternehmensentscheidungen werden heute kapitalmarktorientiert getroffen. Der Shareholder Value ist zur Leitmaxime unternehmerischen Handelns geworden, auch wenn gerade in den letzten Jahren andere Aspekte wieder verstärkt an Bedeutung gewonnen haben.

Doch war es nicht nur die Praxis, die von den Ideen der Theorie zu profitieren wusste. Für die akademische Welt gab die Beobachtung des tatsächlichen Verhaltens der Akteure an Finanzmärkten immer wieder den Anstoß zu neuen Erkenntnisfortschritten. So hat z. B. die Kursblase an den Aktienmärkten, deren Haupttriebfeder die New-Economy-Euphorie der späten 90er Jahre war, viele von der Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der Kapitalmarkttheorie überzeugt.

Behavioral Finance ist eine Disziplin, die versucht, die begrenzte Rationalität und die Emotionalität menschlichen Entscheidungsverhaltens systematisch in ihre Prognosen einzubeziehen. Insofern steht sie für die Abkehr von einer Theorie, die die Dinge beschreibt, wie sie sein sollten, hin zu einer Theorie, die die Dinge beschreibt, wie sie wirklich sind.

Doch auch dieses Paradigma der Theorie hat bereits seinen Niederschlag in der Praxis gefunden. So werden im heutigen Fondsmanagement zunehmend verhaltenspsychologische Elemente bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Themenfonds unter der Überschrift Behavioral Finance wurden aufgelegt, die darauf abzielen, vom systematischen Fehlverhalten des Marktes zu profitieren. Auch die so genannten Hedge Fonds, die sich einer zunehmenden Beliebtheit erfreuen, basieren auf der Philosophie, dass der Markt nicht immer Recht hat.

Das vorliegende Lehrbuch will zweierlei: Zum einen soll eine solide theoretische Grundlage vermittelt werden, wobei auch den neueren Entwicklungen in einem angemessenen Rahmen Rechnung getragen werden soll. Zunächst wird dabei, ausgehend von der idealtypischen Welt des Homo Oeconomicus, die klassische Lehre effizienter, im Gleichgewicht befindlicher Märkte und ihrer Implikationen für die Anlageentscheidung dargestellt (Kapitel 2.2). Die Beobachtung systematischer Abweichungen zwischen Idealbild und Realität bildet dann den Ansatzpunkt für die systematische Darstellung der eher neueren, verhaltenspsychologischen Erklärungsansätze (Kapitel 2.3).

Zum zweiten soll ein Überblick darüber gegeben werden, welche Prinzipien, Strategien, und Methoden in der heutigen Welt des professionellen Geld- und Vermögensmanagements zum Einsatz kommen. Die Darstellung im Lehrbuch orientiert sich dabei am Ablauf eines planvollen, auf objektivierten Zielgrößen beruhenden Investmentprozesses.

Elemente eines planvollen Investmentprozesses

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Als Asset Allocation bezeichnet man dabei ganz allgemein die Aufteilung (Allocation) des für Anlagezwecke zur Verfügung stehenden knappen Geldvermögens auf die zur Auswahl stehenden Anlagemöglichkeiten (Assets), wie z. B. Aktien, Renten, Geldmarktanlagen, Immobilien und Rohstoffe in verschiedenen Ländern und Währungen.

Der Investmentprozess beginnt mit der Strategischen Asset Allocation. Im Kern umfasst sie die sorgfältige Erfassung der Anlegerziele sowie die auf Zielen und Möglichkeiten aufbauende Formulierung bzw. Operationalisierung der langfristigen Anlagepolitik. Als Ergebnis der Strategischen Asset Allocation (SAA) erhält man einen – aus der Sicht des Anlegers – nutzenoptimalen Anlagen-Mix, der dem Portfolio-Manager als Auftrag und Richtschnur (Benchmark) für die Umsetzung der Anlagepolitik dient.

Nachdem der Planungsprozess mit der Festlegung der langfristigen Neutralposition des Anlegers seinen Abschluss gefunden hat, stellt sich die Frage, in welcher Form die vereinbarte Anlagepolitik durch den Portfolio-Manager ins „Tagesgeschäft“ umgesetzt wird. Hierbei lassen sich im Grundsatz aktive und passive Vorgehensweisen voneinander unterscheiden.

Als passiv bezeichnet man die Handlungsweise des Portfolio-Managers dann, wenn sie lediglich darauf abzielt, die in der Benchmark vereinbarten Vorgaben während des gesamten Anlagezeitraums möglichst exakt zu erfüllen. Im Idealfall bedeutet dies ein Kaufen und Halten (Buy & Hold) der langfristig als optimal angesehenen Anlagenmischung. Ein solches Vorgehen ist unabhängig von Meinungen bzw. aktuellen Markteinschätzungen. Ihr Erfolg hängt in erster Linie vom „handwerklichen Geschick“ des Portfolio-Managers ab.

Demgegenüber tritt im Rahmen aktiver Investmentstrategien die Meinung bzw. Erwartungshaltung des Portfolio-Managers in den Vordergrund. Sie orientiert sich dabei an kurzfristigen und damit taktischen Einschätzungen der aktuellen Marktgegebenheiten. Aktive Vorgehensweisen ordnet man daher auch dem Bereich der Taktischen Asset Allocation (TAA) zu.

Die TAA zielt darauf ab, Mehrerträge im Vergleich zur Benchmark zu erwirtschaften. Hierbei wird fallweise bewusst von dem langfristigen, als optimal angesehenen Asset-Mix abgewichen. Diese Vorgehensweise basiert auf der Vorstellung, dass reale und damit unvollkommene Märkte durch kurzfristige und temporäre Ungleichgewichte gekennzeichnet sind, die sich durch den Kauf unterbewerteter Titel (buy low) und Verkauf überbewerteter Titel (sell high) Gewinn bringend ausnutzen lassen. Die TAA ist daher in der Praxis sehr stark durch die Suche nach geeigneten Bewertungsverfahren geprägt.

Anders als bei der SAA werden die kurzfristigen Anlagenentscheidungen im Rahmen der TAA in der Regel nicht explizit mit dem Investor abgestimmt. Der Portfolio-Manager nimmt somit den Erfolg- bzw. Misserfolg aktiver Investmentstrategien innerhalb gesetzter Grenzen „auf die eigene Kappe“. Er muss sich daher stets an den Ergebnissen des passiven Managements messen lassen.

Die objektive Beurteilung der Management-Leistung ist das Hauptziel der Performance-Analyse. Ihre Aufgaben umfassen die Messung des Zielerreichungsgrades (Performance-Messung), die Zerlegung des Gesamterfolgs in seine Bestandteile (Performance-Analyse im engeren Sinne) und ihre Zuordnung zu einzelnen Dispositionen des Portfolio-Managers (Performance-Attribution). Im Ergebnis gelangt man zu einem differenzierten Stärken-Schwächen-Profil, das je nach Ausprägung der Ausgangspunkt für ein Überdenken der Anlagepolitik sein sollte (Feedback). Aus diesem Lernen bezieht der Investmentprozess eine gewisse Dynamik, die aber nicht laufend auf die langfristige Anlagepolitik durchschlagen sollte. So führt ein ständiges Revidieren von strategischen Zielsetzungen und Plangrößen in der Regel zu einer Verschlechterung des Zielerreichungsgrades.

Eine besondere Rolle im Rahmen des Portfolio-Managements spielt die so genannte Portfolio-Insurance. Hierunter versteht man die Versicherung des Portfolio-Wertes gegen große Verlustrisiken, wie z. B. einem Aktien-Crash. Damit stimmt die Portfolio-Insurance (PI) in ihrem Grundgedanken mit anderen Versicherungen, z. B. der gegen Berufsunfähigkeit, überein. Die PI kann dabei sowohl unter taktischen Gesichtspunkten eingesetzt als auch im Rahmen der strategischen Planung berücksichtigt werden.

Das Ziel der PI besteht darin, einen Portfolio-Mindestwert für einen gewissen Zeitraum im Voraus zu „garantieren“ (downside protection). Gleichzeitig möchte man dabei die Chancen nicht einbüßen, an einer positiven Marktentwicklung teilzunehmen (upside participation). Die PI-Techniken basieren dabei im Wesentlichen auf Überlegungen, die der Optionspreis-Theorie entstammen, da sich mit ihnen die gewünschten asymmetrischen Verteilungen des Portfolio-Wertes erzielen lassen. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass sich mit ihnen das eherne Gesetz der Finanzmärkte „höherer Ertrag nur bei höherem Risiko“ außer Kraft setzen ließe. Sie fällt unabhängig von der Marktentwicklung an, was zu einer oft zu beobachtenden Irrationalität bei Anlegern führt: Wird nämlich ein Crash-Jahr nur für sich genommen betrachtet, so hätte man im Nachhinein natürlich gern die Versicherungsprämie in Kauf genommen. Im Anschluss an „gute“ Jahre werden die Kosten der PI jedoch stets als reine Ertragsschmälerung angesehen.

Der Vergleich der Performance von gesicherten und ungesicherten Portfolios ist damit besonders im Rahmen einer stichtagsbezogenen Erfolgskontrolle von Bedeutung. Sie stabilisiert die Periodenerträge nach unten hin, vermindert dafür aber – bei „streng statischer“ Anwendung – die durchschnittliche Portfolio-Performance.

Die Darstellung von Theorie und Praxis des Portfolio-Management im Rahmen dieses Fachbuches bezieht sich ausschließlich auf die fungiblen und liquiden Anlageformen Aktien, Festzins und Währung. Börsengehandelte Vermögensansprüche bieten aufgrund des objektiven Marktpreises den Vorteil, Erträge und Risiken (be-)greifbarer zu machen, und bieten sich daher auch aus didaktischen Gründen für die Darstellung an. Dass die Aktie hierbei oftmals in den Vordergrund rückt, liegt an ihren besonders stark ausgeprägten Ertrag-Risiko-Charakteristika. An der grundsätzlichen Gültigkeit und Übertragbarkeit der vorgestellten Konzepte ändert diese Bevorzugung jedoch nichts.

Auf eine Behandlung anlage- und anlegerspezifischer Steueraspekte, die zweifelsohne eine bedeutende Rolle in Kapitalanlagefragen spielen, wurde zugunsten einer ausführlichen Darstellung von Risikoentscheidungskalkülen verzichtet.

Frankfurt am Main, im Januar 2012

Stefan Günther

Cyrus Moriabadi

Prof. Dr. Jörn Schulte

Dr. Hendrik Garz

2 Theorie des Portfolio-Managements

2.1 Kurzer historischer Rückblick

Die Kapitalmarkt-Theorie ist heute eine eigenständige und anerkannte Disziplin innerhalb der Wirtschaftswissenschaften mit großem Einfluss auf die Praxis an den Börsen und in der Investment-Industrie. Das war nicht immer so. Wenn man vor 50 Jahren professionelle Geld- bzw. Vermögensverwalter nach den Grundprinzipien ihres Tuns befragt hätte, so wäre man auf nicht viel mehr gestoßen als auf eine Ansammlung von Anekdoten, persönlichen Erfahrungswerten, Daumenregeln und Alchemie. Das Anlegen von Geld wurde als Kunst angesehen, nicht als Wissenschaft. Insbesondere mit Blick auf den Aktienmarkt war es die Prognose und die damit verbundene Fähigkeit, zukünftige Gewinner zu identifizieren, denen das ganze Bestreben gewidmet war. Selbst Keynes sah Investieren in Aktien in erster Linie als Spekulation an und verglich den Aktienmarkt mit einem Schönheitswettbewerb.

Die erste echte wissenschaftliche Analyse des Aktienmarktes geht zwar bereits auf den französischen Mathematiker Louis Bachelier zurück. Seine Doktorarbeit aus dem Jahre 1900 war ihrer Zeit weit voraus, stieß aber in Wissenschaft und Praxis auf keinerlei Interesse. Die Erkenntnis Bacheliers, dass Kursveränderungen an Aktienmärkten die statistische Eigenschaft eines reinen Zufallsprozesses aufweisen, sollte 60 Jahre später die Grundlage für die Theorie effizienter Märkte bilden.

Ein Auslöser für die breitere wissenschaftliche Analyse war der große Markt-Crash im Oktober 1929, der lange Bärenmarkt, der ihm nachfolgte und die von ihm ausgehende große Wirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre. Viele Anleger hatten viel Geld verloren. Eines der bekanntesten Opfer war Irving Fisher, seines Zeichens späterer Nobelpreisträger und einer der anerkanntesten Ökonomen seiner Zeit und des 20. Jahrhunderts insgesamt. Noch wenige Tage vor dem schwarzen Freitag an der Wall Street wurde Fisher mit den Worten zitiert: „Ich erwarte den Aktienmarkt in ein paar Monaten ein gutes Stück höher als heute.“ Fisher verlor dank dieser Fehleinschätzung ein kleines Vermögen.

Sicherlich deutlich mehr als Fisher hatte Alfred Cowles verloren. Cowles kümmerte sich seinerzeit um die finanziellen Angelegenheiten seiner sehr wohlhabenden Familie. Ihn ärgerte es maßlos, dass offenbar keiner der von ihm genutzten Börsendienste den großen Crash hatte kommen sehen und fragte sich nach den Ursachen für diesen kollektiven Irrtum. Die Suche nach den Gründen des Versagens und nach einer generellen Antwort auf die Frage, ob Aktienkurse prognostizierbar sind, brachte Cowles mit Irving Fisher zusammen, der Anfang der 30er Jahre Präsident der ökonometrischen Gesellschaft war, die sich zur Aufgabe gemacht hatte, ökonomische Theorien mit statistischen Methoden zu modellieren und empirisch zu überprüfen. Die Gesellschaft, die damals in ihren Anfängen steckte, suchte nach Geldgebern und fand in Alfred Cowles jemanden, der die Herausgabe einer eigenen Fachzeitschrift namens „Econometrica“ möglich machte. In der ersten Ausgabe fanden sich neben einem Beitrag von Joseph Schumpeter, dem berühmten Harvard-Ökonomen, auch eine Untersuchung von Cowles selbst. Er hatte sich einer wahren Herkules-Aufgabe unterzogen, indem er viele tausend Empfehlungen von Aktieninformationsdiensten, Analysten, Investitionsentscheidungen von Versicherungen usw. einer statistischen Auswertung unterzog und zu dem verblüffenden Schluss kam, dass die Chancen, aufgrund von Aktienempfehlungen eine überdurchschnittliche Performance zu erreichen, nicht höher waren als bei einer rein zufälligen Aktienauswahl.

Zum damaligen Zeitpunkt nahm man nicht viel Notiz von Cowles‘ Ergebnissen, was ihn allerdings nicht davon abhielt, die wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der Kapitalmärkte weiter tatkräftig zu unterstützen. Einer der Schützlinge der neu gegründeten Cowles Foundation, die die Heimat vieler Nobelpreisträger werden sollte, wurde Harry Markowitz. Markowitz hatte 1952 einen wissenschaftlichen Artikel mit dem Titel „Portfolio Selection“ veröffentlicht, der – zur damaligen Zeit ungewöhnlich – aus sehr vielen mathematischen Formeln und grafischen Darstellungen, aber wenig Text bestand. Markowitz’ Arbeit erschien sogar so außergewöhnlich, dass Milton Friedman, damals einer der Prüfer des Doktoranden Markowitz, die Tauglichkeit der Arbeit als Dissertation im Bereich der Wirtschaftswissenschaften anzweifelte. Friedman, selbst einer der bedeutendsten Wirtschaftswissenschaftler des 20. Jahrhunderts, ahnte noch nicht, dass die Portfolio-Theorie ein Meilenstein der Finanzierungs-Theorie werden würde und Markowitz hierfür später einmal den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten sollte. Was war aber nun so besonders an dem nur 14 Seiten umfassenden Artikel von Markowitz? Für Markowitz selbst lag das Schlüsselerlebnis in der Lektüre von John Burr Williams Buch „The Theory of Investment Value“, in dem es um die Frage der Bestimmung des inneren Wertes von Aktien ging. Der Autor schien nahe zu legen, dass Investoren nur die eine Aktie kaufen sollten, die ihnen den höchsten Ertrag versprach. Wenn man in IBM das größte Potenzial sieht, warum soll man dann auch noch Apple und Compaq kaufen? An diesem Nachmittag in der Bibliothek der University of Chicago, so erzählte Markowitz einmal einem Weggefährten, „… war ich angetan von der Idee, dass man genauso am Risiko interessiert sein sollte wie am Ertrag“ (siehe Bernstein, 1992).

Risiko, hat einmal ein bekannter Ökonom gesagt, sei, wenn mehr passieren kann als tatsächlich passieren wird. Für Markowitz lag der Schlüssel zum Verständnis von Risiko in der Variabilität des Ertrages. Sie ist es, die eine Aktie zu einem riskanten Investment macht, und sie ist es auch, die Markowitz zu der Erkenntnis brachte, dass es einem rationalen Investor um die Auswahl eines Portfolios gehen müsse und nicht um die Auswahl von einer oder zwei Anlage(n), die den höchsten Ertrag verspreche(n). Eine Anleihe in der betriebswirtschaftlichen Unternehmensforschung machend, entwickelte Markowitz hierauf basierend das Konzept eines effizienten Portfolios: ein Portfolio wird demnach als effizient angesehen, wenn kein anderes Portfolio bei gleichem erwarteten Ertrag ein niedrigeres Risiko aufweist. Risiko wird als der unvermeidbare Input zur Produktion von Ertrag angesehen. Aus Markowitz‘ Überlegungen ging hervor, dass ein Portfolio bestehend aus riskanten Anlagealternativen aufgrund eines Diversifikationseffekts noch lange kein riskantes Portfolio sein muss.

Der Markowitz-Artikel war nur der Anfang einer Entwicklung weg von einer rein deskriptiven hin zu einer theoretischen und kapitalmarktorientierten Finanzierungs-Lehre. Weitere Meilensteine waren die berühmten Modigliani-Miller-Theoreme zur Irrelevanz der Kapitalstruktur und der Dividendenpolitik für den Unternehmenswert, die Bewertung von Kapitalanlagen im Marktgleichgewicht, einer Theorie, die maßgeblich vom Markowitz-Schüler William Sharpe entwickelt wurde und die direkt auf den Erkenntnissen von Markowitz’ Portfolio-Theorie aufbaut, sowie die Theorie effizienter Märkte, die in den 60er Jahren von Eugene Fama und Paul Samuelson voran gebracht wurde und die sehr stark von den Ideen des oben bereits zitierten Louis Bachelier inspiriert worden war.

Erst in den 80er und 90er Jahren geriet das zwischenzeitlich zum Paradigma erhobene Weltbild der (neo-klassischen) Kapitalmarkt-Theorie stärker ins Wanken. Konnte zuvor noch die Kritik an den stark abstrahierenden Annahmen der Theorie mit dem Hinweis zurückgewiesen werden, dass eine Theorie gemäß des kritischen Rationalismus von Karl Popper nicht nach der Validität ihrer Annahmen beurteilt werden sollte, sondern nach der Qualität ihrer Voraussagen, so wurde nun eben gerade diese Prognosefähigkeit zunehmend infrage gestellt.

In den 80er Jahren suchte man die Ursachen für Diskrepanzen zwischen theoretischen und tatsächlichen Marktergebnissen zunächst in der Unvollkommenheit realer Märkte. Reibungsverluste durch Transaktionskosten und Steuern sollten so beispielsweise erklären, warum Investoren offenbar eine viel zu geringe Anzahl von Aktien in ihren Portfolios halten und damit unsystematische Risiken in Kauf nehmen. Ein weiteres Beispiel ist, dass man für den so genannten Size-Effekt, einer systematischen Abweichung von den Bewertungsvorgaben der Theorie in Abhängigkeit von der Firmengröße, Unterschiede in den Informationskosten verantwortlich machte. Sich über kleinere Firmen zu informieren, so die Überlegung, sei schwieriger und kostenintensiver und müsse daher im Marktgleichgewicht mit einer Prämie vergütet werden. Anhand dieser Beispiele wird bereits deutlich, dass der Kern der Kapitalmarkt-Theorie, nämlich die Annahme eines vollständig rationalen Entscheidungsverhaltens, erhalten blieb. Die institutionelle Kapitalmarkt-Theorie wurde daher von vielen auch nicht als echte Alternative angesehen, sondern lediglich als Rettungsversuch des „alten“ Paradigmas.

In den 90er Jahren setzte sich daher zunehmend die Erkenntnis durch, dass ein echter Fortschritt nur dann zu erzielen sein würde, wenn es gelänge, eine kausale Verbindung herzustellen zwischen dem, was auf der Mikroebene das Entscheidungsverhalten von Individuen bestimmt, und dem, was auf der Makroebene als Marktergebnis dabei herauskommt. Behavioral Finance ist immer noch eine vergleichsweise neue Disziplin, die versucht, den systematischen Einfluss von Emotionen und begrenzter Rationalität auf Investitions- und Finanzierungsentscheidungen zu erfassen und auf diese Weise die Phänomene zu erklären, die mit der klassischen Theorie einfach nicht in Einklang zu bringen sind.

2.2 Homo Oeconomicus und die klassische Kapitalmarkt-Theorie

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Erich Weißnichtrecht wird Portfolio-Manager bei einer großen Investmentgesellschaft. Er wird mit der Aufgabe betraut, einen neu aufgelegten Fonds mit Anlageschwerpunkt europäische Aktien mit Einzeltiteln zu bestücken. Weißnichtrecht, der in seiner bisherigen Laufbahn als Anlageberater seine Kunden in erster Linie mit heißen Aktien-Tipps versorgt hatte, steht nun vor dem Problem, wie er das ihm anvertraute Geld investieren soll. Ihm ist intuitiv klar, dass es wohl zu riskant wäre, auf die ein oder zwei Aktien zu setzen, die ihm momentan besonders attraktiv erscheinen. Dies gilt umso mehr, da es sich bei ihnen um kleinere, marktenge Werte handelt, bei denen eine größere Order, wie Weißnichtrecht sie nun als Manager eines Milliardenvermögens platzieren müsste, einen erheblichen, für ihn ungünstigen Kurseinfluss haben würde. Hinzu kommt, dass Weißnichtrecht bereits am Monatsende seinem Chef gegenüber die Wertentwicklung des Portfolios rechtfertigen muss, er sich aber sehr unsicher ist, wie sich Marktstimmung und die konjunkturelle Lage bis dahin verändern werden. Was soll er also tun? Welche Aktien soll er kaufen? Wie groß sollten seine Einzelpositionen sein? Soll er Kasse halten?

Schlüsselbegriffe

• Entscheidungen unter Risiko

• Diversifikationseffekt

• Effiziente Portfolios

• Risikoaversion und rationale Investoren

• Bewertung im Marktgleichgewicht

• Random Walk und Informationseffizienz

2.2.1 Riskante Investitionen und das Entscheidungsproblem der Portfolio-Theorie

2.2.1.1 Grundlegende Zusammenhänge

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Investoren möchten einen möglichst hohen Ertrag erzielen und dabei ein möglichst geringes Risiko eingehen. Diese Aussage, so banal sie auch klingen mag, ist Ausgangspunkt und Kern der Portfolio-Theorie. Sie beantwortet die Frage, wie man vor dem Hintergrund einer großen Anzahl zur Verfügung stehender Anlagealternativen eine ökonomisch vernünftige, rationale Auswahl-/Anlageentscheidung trifft. Was genau die Theorie unter dem Begriff der Rationalität versteht, wird noch Thema ausführlicher Diskussionen in den Kapiteln 2.2.2 und 2.3 sein. An dieser Stelle reicht aus, dass Rationalität im vorliegenden Zusammenhang impliziert, dass ein Entscheider aus der Menge möglicher Handlungen diejenige heraussucht, die seinen (Vermögens-)Nutzen maximiert. Unter zwei Alternativen zieht er diejenige vor, die bei gleichem Risiko einen höheren Ertrag bzw. bei gleichem Ertrag ein geringeres Risiko liefert.

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Die Portfolio-Theorie ist eine Theorie des Investierens in risikobehaftete Kapitalanlagen. Ohne Einschränkung ihrer allgemeinen Gültigkeit kann man sagen, dass ihr Hauptanwendungsgebiet im Bereich der Aktienanlage liegt. Der Bedarf an Methoden zum Risikomanagement ist hier verständlicherweise besonders groß.

Investitionsentscheidungen lassen sich typischerweise als Entscheidungen unter Risiko bzw. unter Unsicherheit charakterisieren. Man weiß zum Zeitpunkt des Kaufs einer Aktie noch nicht mit Sicherheit, ob sich diese Investition in Zukunft einmal auszahlen wird oder nicht. Ob dies der Fall sein wird, hängt von Umständen ab, die der Investor nicht beeinflussen kann. Gleichwohl hat er zum Zeitpunkt der Investition eine Vorstellung darüber, welche möglichen Folgen sein Handeln haben könnte. Das Unternehmen, in dessen Aktien er investieren möchte, könnte florieren und ungeahnt hohe Profite abwerfen, es könnte sich aber auch herausstellen, dass das Geschäftsmodell nicht tragbar ist und das Unternehmen daraufhin gezwungen ist, in die Insolvenz zu gehen. Wie genau die Vorstellungen des Entscheiders von dem, was sein könnte, sind, hängt davon ab, ob die Unsicherheit lediglich in der Sache liegt, also z.B. das Ergebnis eines reinen Zufallsprozesses ist (objektive Unsicherheit) oder aus einer unvollständigen Informationsverarbeitung heraus entsteht (subjektive Unsicherheit). Wie Menschen mit dem Problem begrenzter Informationsverarbeitungskapazitäten umgehen und Entscheidungen unter Zeitdruck treffen, ist Thema in Kapitel 2.3. Worin die Unsicherheit besteht, interessiert die Entscheidungs-Theorie nicht. Sie geht davon aus, dass sich der Entscheider der Unsicherheit bewusst ist und die möglichen Folgen seines Handelns kennt und auch beziffern kann. D.h., dass er im Falle des Aktienengagements zwar nicht sagen könnte, wie am Ende die Rendite tatsächlich aussehen wird, dass er aber angeben könnte, dass er drei Renditen (z.B. 10 %, 20 %, 50 %) für möglich hält.

Ist die Investitionsentscheidung erst einmal getroffen, liegt das Ergebnis nicht mehr im Einflussbereich des Entscheiders. Es hängt von den in Zukunft eintretenden Umständen ab, die – wenn man noch einmal das Beispiel von oben aufgreift – zu einem Funktionieren des Geschäftsmodells führen oder eben zu seinem Versagen beitragen. Die Gesamtheit der Faktoren, die ein einzelnes Ergebnis bestimmen, nennt man in der Entscheidungs-Theorie einen Umweltzustand. Die Unsicherheit in einem Entscheidungsproblem bezieht sich einzig und allein darauf, dass der Entscheider zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht weiß, welcher Umweltzustand sj aus der Menge der möglichen Umweltzustände S eintreten wird. Erst wenn der Umweltzustand eingetreten ist, ist das Ergebnis für den Entscheider sicher. Stellt sich also etwa in unserem Beispiel heraus, dass das Geschäftsmodell funktioniert, so liegt die Rendite der Investition bei 50 %.

Die Entscheidungs-Theorie verlangt, dass ein Entscheidungsproblem vollständig beschreibbar sein muss. Hierzu gehört, dass die Menge S alle möglichen Umweltzustände beinhaltet und dass ihre Elemente eindeutig definiert sind. D.h., dass jeder mögliche Umweltzustand einzigartig ist und zweifelsfrei identifiziert werden kann. Zudem gehört zu einer vollständigen Darstellung das Aufzeigen sämtlicher Handlungsalternativen ai. Des Weiteren wird verlangt, dass die Verknüpfung von Handlungsalternativen und Umweltzuständen zu eindeutigen Ergebnissen führt. D.h., wenn ai und sj bekannt sind, dann gibt es genau ein Ergebnis ei,j, das diesem Paar zugeordnet werden kann. Als Letztes kommt noch hinzu, dass der Entscheider den möglichen Umweltzuständen subjektive Wahrscheinlichkeiten pj zuordnen können muss. Die Summe der Wahrscheinlichkeiten muss definitionsgemäß gleich 1 sein, d.h. der gesamte Wahrscheinlichkeitsraum muss ausgeschöpft werden. Bei der Angabe der subjektiven Wahrscheinlichkeiten wird nicht nach ihrer Qualität unterschieden. Sie können auf einer dünnen Informationsbasis beruhen oder auch objektiv vorgegeben sein wie z.B. beim Wurf einer „fairen“ Münze. Dies alles spielt in der klassischen Entscheidungs-Theorie keine Rolle.

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Generell unterscheidet sie zwischen Entscheidungen unter Risiko (Unsicherheit i.e.S.) und Entscheidungen unter Ungewissheit. Unter einer Risikosituation versteht man, dass der Entscheider den möglichen Umweltzuständen subjektive Wahrscheinlichkeiten zuordnen kann. Kann er dies nicht, sind also lediglich die Handlungsalternativen, die Umweltzustände und die hieraus resultierenden Ergebnisse bekannt, nicht aber die Wahrscheinlichkeiten, mit der die Umweltzustände eintreten, so spricht man von Ungewissheit. In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist auch noch der Begriff der Ambiguität (siehe hierzu auch Kapitel 2.3). Hierunter versteht man generell die Unsicherheit über die Wahrscheinlichkeit von Umweltzuständen. Man spricht daher auch von Unsicherheit zweiter Ordnung. Im Rahmen von Experimenten hat man festgestellt, dass Probanden eine generelle Aversion gegenüber ambiguitätsbehafteten Entscheidungssituationen empfinden. Dies führt dann dazu, dass eine Alternative mit Ambiguität (Wahrscheinlichkeit ist nicht bekannt) einer Alternative ohne Ambiguität (Wahrscheinlichkeit ist bekannt) vorgezogen wird, auch wenn die beiden Alternativen objektiv das gleiche Risiko besitzen.

Doch nun zurück zum Ausgangpunkt. Zur vollständigen Beschreibung eines Entscheidungsproblems wird in der Entscheidungs-Theorie oft auf eine so genannte Ergebnismatrix zurückgegriffen.

Vollständige Darstellung eines Entscheidungsproblems – Ergebnismatrix

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Abbildung 2.1

Man kann sich vorstellen, dass die Erstellung einer dem Vollständigkeitsanspruch genügenden Ergebnismatrix je nach Komplexität des Entscheidungsproblems mit einem enorm hohen Aufwand zur Beschaffung und Verarbeitung der notwendigen Informationen verbunden sein kann. Das gilt insbesondere dann, wenn es um eine Investition in Aktien geht, da nicht nur die Anzahl der möglichen, renditerelevanten Umweltzustände sehr groß sein kann, sondern im Rahmen einer Portfolio-Betrachtung auch die Interdependenzen zwischen den verschiedenen infrage kommenden Wertpapieren zu berücksichtigen sind. Allein die Darstellung komplexer Entscheidungsprobleme mithilfe von Ergebnismatrizen ist damit in der Praxis kaum handhabbar und auch völlig unübersichtlich. Eine enorme Vereinfachung ist dementsprechend immer dann gegeben, wenn der Entscheider sich dazu in der Lage sieht, eine vollständige Wahrscheinlichkeitsverteilung über die möglichen Umweltzustände anzugeben. So geht die Portfolio-Theorie davon aus, dass die Renditen an Kapitalmärkten einer Normalverteilung folgen, was den zusätzlichen Vorteil hat, dass sich die Normalverteilung mithilfe von nur zwei Parametern (Momenten), dem Erwartungswert und der Varianz bzw. der Standardabweichung vollständig (d.h. ohne Informationsverlust) beschreiben lässt (für eine ausführliche Diskussion der Normalverteilung siehe z.B. Cremers, 2000). Für alle Verteilungen gilt:

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Normalverteilung mit einfachem Schwankungsintervall

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Abbildung 2.2

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Wenn man nun das Risiko einer Investition als Möglichkeit ansieht, dass sich Renditen einstellen, die von der erwarteten Rendite abweichen, dann ist es ökonomisch unmittelbar plausibel und vernünftig, die Varianz als Risikomaß zu interpretieren. Auf diese Weise finden auch die eingangs angesprochenen Präferenzdimensionen (möglichst hoher Ertrag, möglichst geringes Risiko) eine unmittelbare Entsprechung und Interpretierbarkeit auf der Verteilungsebene. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Risikoverständnis eines Entscheiders notwendigerweise mit der Varianz der Normalverteilung übereinstimmen muss. So ist die Varianz ein symmetrisches Risikomaß. D.h., dass auch positive Abweichungen vom Erwartungswert als Risiko interpretiert werden. Intuitiver und ökonomisch zumindest ebenso plausibel erscheint es jedoch, nur die negativen Abweichungen vom Erwartungswert als Risiko aufzufassen, die positiven Abweichungen dagegen als Chance zu begreifen (zum asymmetrischen Risikoverständnis, siehe auch Kapitel 4.2 „Portfolio Insurance“). Die Portfolio-Theorie ist im Laufe der Zeit um Lösungsansätze erweitert worden, die mit reinen Downside-Risikomaßen wie z.B. der Semivarianz arbeiten (siehe z.B. Gerke/Bank, 1998). An den Ergebnissen hat dies kaum etwas geändert, was zumindest dann nicht überrascht, solange weiterhin von einer symmetrischen Verteilung wie der Normalverteilung ausgegangen wird.

Die vollständige Beschreibung des Entscheidungsproblems der Portfolio-Theorie besteht somit in der Angabe der erwarteten Renditen und Varianzen bzw. Standardabweichungen der für eine Investition in Betracht kommenden Wertpapiere. Das Problem besteht somit zunächst darin, wie man im Einzelnen zu den benötigten Parameterwerten kommt. Da es sich bei ihnen nicht um bekannte bzw. unmittelbar und objektiv beobachtbare Größen handelt, müssen sie in einem ersten Schritt geschätzt werden (die Schätzwerte werden mit images und images bezeichnet). Die Schätzung kann zunächst auf einer rein qualitativen Ebene erfolgen, indem der Entscheider die ihm zur Verfügung stehenden relevanten Informationen nutzt, um eine subjektive Einschätzung beider Größen abzuleiten. Ein zweiter Weg besteht in der objektivierten, empirischen Ermittlung der benötigten Werte. Hierzu werden aus einer Stichprobe von bereits in der Vergangenheit realisierten Renditewerten der Stichprobenmittelwert (als Schätzer für den Erwartungswert) und die Stichprobenstandardabweichung berechnet.

Empirisch ermittelte Verteilungsparameter am US-Kapitalmarkt (1900-2010)

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Abbildung 2.3 Quelle: Global Financial Data/Bloomberg/eigene Berechnungen

Die kritische Annahme hierbei ist, dass die Renditeverteilung stationär ist, dass sich also Erwartungswert und Varianz im Zeitablauf nicht verändern. Eine wichtige Frage, die in diesem Zusammenhang zu stellen ist, lautet, ob die Annahme normal verteilter Renditen empirisch tatsächlich zu rechtfertigen ist. Nur dann könnte man in der Tat davon ausgehen, dass die auf der Normalverteilungsannahme beruhende Portfolio-Theorie ökonomisch sinnvolle Ergebnisse liefert. Empirische Renditeverteilungen an Aktienmärkten weichen typischerweise in zweierlei Hinsicht von der theoretischen Normalverteilung ab:

1. Sie besitzen zu viel Wahrscheinlichkeitsmasse in der Mitte und an den Enden (Leptokurtosis) und

2. sie sind oft rechtsschief und damit nicht symmetrisch.

Die Rechtsschiefe bei empirischen Renditeverteilungen von Aktien ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Rendite einer Aktie zwar nie unter –100 % fallen kann (begrenzte Haftung, d. h. keine Nachschusspflicht der Aktionäre), theoretisch aber nach oben unbegrenzt ist.

Es sind also sehr wohl systematische Abweichungen von der Normalverteilungsthese gegeben, sodass sich die Frage stellt, ob der Ansatz der Portfolio-Theorie aus diesem Grunde insgesamt abzulehnen ist. Glücklicherweise kann diese Frage verneint werden. Der Grund hierfür liegt in einer statistischen Gesetzmäßigkeit. Auch nicht normal verteilte Renditen streben in der Summe gegen eine Normalverteilung (zentraler Grenzwertsatz). Bei einer Betrachtung diversifizierter Portfolios, mit anderen Worten Portfolios, die eine größere Anzahl von Wertpapieren enthalten, spielen die auf Titelebene bestehenden Abweichungen von der Normalverteilung lediglich eine untergeordnete Rolle. Da im Rahmen der Portfolio-Theorie stets von diversifizierten Portfolios ausgegangen wird, kann die Normalverteilungsannahme guten Gewissens als Arbeitshypothese akzeptiert werden.

Leptokurtosis und Rechtsschiefe von Renditeverteilungen

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Abbildung 2.4

Neben der Annahme einer Normalverteilung geht die Portfolio-Theorie von weiteren Prämissen aus. Dies sind:

1. Eine beliebige Teilbarkeit der Wertpapiere. Ansonsten wären bei einem beschränkten Budget keine freie Wählbarkeit der Portfolio-Gewichte möglich.

2. Ein Planungshorizont von einer Periode. Dies stellt grundsätzlich keine erhebliche Einschränkung dar, weil man das mehrperiodige Portfolio-Entscheidungsproblem auch als Abfolge voneinander unabhängiger einperiodiger Probleme ansehen kann.

3. Die Existenz eines risikolosen Zinses.

4. Die Präferenzen der Investoren beziehen sich ausschließlich auf das Endperiodenvermögen.

5. Die Präferenzen der Investoren lassen sich vollständig mithilfe von Erwartungswert und Varianz beschreiben und

6. Investoren sind risikoavers und verhalten sich rational.

Alle weiterführenden Annahmen, insbesondere bezüglich der Investorpräferenzen